Die Stadt stellt sich ihrer kolonialen Vergangenheit
Ausstellung — Die Stadt Zürich und private Investoren sind für die Versklavung von insgesamt 37’572 Menschen mitverantwortlich. Ungefähr 150 Jahre ist es her, dass sie ihr Geld in Unternehmen anlegten, die mit Sklavenhandel und der Plantagenwirtschaft beachtliche Gewinne erzielten. Diese Zahl einer Studie der Uni Zürich ist nur einer von vielen Fakten, die bis heute kaum den Weg in die breite Öffentlichkeit gefunden haben. In der Ausstellung «Blinde Flecken» im Zürcher Stadthaus soll sich die Bevölkerung mit Aspekten ihrer Geschichte befassen, die gerne verdrängt werden.
Die Schweiz hatte keine Kolonien. Die Beteiligung der Schweiz am Kolonialismus erhält jedoch vermehrt Aufmerksamkeit. Die Botschaft an den Wänden des Zürcher Stadthauses steht nun schwarz auf knallgelben Ausstellungsplakaten: Zürich profitiert bis heute vom Kolonialismus. So dienten die Kolonien der europäischen Wirtschaft als Lieferanten von billigen Rohstoffen und als Absatzmärkte. Zum Beispiel begünstigte die Baumwolle aus Plantagen die Industrialisierung des Textilgewerbes: Zürich wirkte als Drehscheibe für die Textilindustrie und exportierte in die ganze Welt. So wurde Wissen über Handel, Investitionen, Geldtransaktionen oder Steueroptimierung angesammelt. Im Austellungsrundgang tauchen immer wieder Schwarzweissfotografien von Zürcher Persönlichkeiten auf, die in einem ungewohnten Licht erscheinen: etwa Alfred Escher, dessen Erbe auf lukrativen Sklavenplantagen in Kuba beruht, oder der Familienbetrieb Schwarzenbach, der im Niederdorf bis heute Schokolade oder Kaffee als «Colonialwaren» anbietet.
Auch der Forschungsstandort Zürich hat vom Kolonialismus profitiert. Zudem wurden pseudowissenschaftliche Theorien zur Vorherrschaft der Weissen mitangetrieben. Besonders einflussreich waren dabei die Schriften des Psychiaters und Verfechters der Rassenhygiene Auguste Forel. So wurde Zürich zu einem weltweit vernetzten Zentrum der Rassenforschung. Damit wurde ein machtvolles Denkgerüst geschaffen, das die rassistische Abwertung von Mitmenschen bekräftigte. Mit der kolonialen Expansion entstanden zudem neue Forschungsfelder wie die Anthropologie oder Ethnologie. Wissenschaftler*innen nutzten diese Gegebenheiten und reisten für ihre Forschung in die Kolonien anderer europäischer Staaten.
Die Ausstellung ist ein gelungenes Vorhaben der Stadt, auf die aktuellen Debatten einzugehen, die durch das jahrelange Engagement zahlreicher Aktivist*innen und Gruppierungen vermehrt Aufmerksamkeit erhalten haben. Sie zeigt eindrücklich auf, wie facettenreich und vielschichtig die Verbindungen zwischen Zürich und dem Kolonialismus sind. Die Botschaft ist klar: Es braucht eine stärkere Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, die über Jahrzehnte tabuisiert wurde. In einer linken Stadt wie Zürich muss das Thema weit mehr Aufmerksamkeit erhalten, als dies heute der Fall ist. Zwar setzen sich thematische Blöcke der Ausstellung mosaikartig zu einem Gesamtbild zusammen, doch um die Auswirkungen von historischen Ereignissen auf die Verstrickungen Zürichs und deren Entwicklung genau zu verstehen, ist eine vertiefte Auseinandersetzung nötig.