Standes- und Fakultätsangehörige müssen nach dem Willen der Unileitung tanzen – auch wenn sie dabei an Macht einbüssen.

Mitbestimmung der Studierenden gefährdet

Die Unileitung plant eine Reform der universitären Kernkommissionen. Dabei sollen die Studierenden insgesamt über einen Drittel ihrer Sitze verlieren. Einen offiziellen Miteinbezug der Betroffenen gab es bisher nicht.

Lukas Heinser (Text) und Noah Liechti (Illustration)
9. Januar 2023

«Harmonisierungsprojekt»: So harmlos klingt das Vorhaben der Uni Zürich, durch das den Studierenden voraussichtlich 9 ihrer 23 Sitze in den universitären Kernkommissionen entzogen werden. Das Projekt wurde von der Universitätsleitung (UL) beim Generalsekretariat der Hochschule in Auftrag gegeben und wird in den kommenden Wochen in der Erweiterten Universitätsleitung (EUL) zur Abstimmung gebracht.

Erklärtes Ziel des Projekts ist es, «die Amtszeit, die Amtsdauer und die Zusammensetzung der gewählten Vertretungen in den Kernkommissionen der Uni zu harmonisieren.» Das schreibt die Medienstelle der Hochschule auf Anfrage der ZS. Sowohl Stände wie auch Fakultäten hätten gemäss Universitätsordnung Anrecht auf gewählte Vertretungen in den meisten Kernkommissionen, was heute nicht überall der Fall sei.

Die 19 Kernkommissionen widmen sich in ihrer Arbeit verschiedenen universitären Geschäften und Anliegen. So gibt es etwa eine Disziplinarkommission, eine Gleichstellungskommission, eine Kommission Lehre und Studium und eine Nachhaltigkeitskommission. Alle Kernkommissionen werden jeweils von der UL oder der EUL eingesetzt. Sie verfügen über eigene Entscheidungskompetenzen – in grösseren, uniweiten Geschäften hat die UL beziehungsweise die EUL aber das letzte Wort. In den Kommissionen sind unterschiedlichste institutionelle Interessengruppen durch jeweils mindestens eine*n Delegierte*n vertreten, allen voran die Fakultäten und Stände.

Studierende verlören am meisten Sitze

Fakultäten gibt es an der Uni sieben: Die Theologische, die Wirtschaftswissenschaftliche, die Vetsuisse-, die Mathematisch-naturwissenschaftliche, die Rechtswissenschaftliche, die Medizinische und die Philosophische Fakultät. Die Angehörigen der Uni werden indes in vier Stände – Studierende, Wissenschaftlicher Nachwuchs, Fortgeschrittene Lehrende, und Administratives und technisches Personal – eingeteilt. Die Einbindung der Fakultäten und Stände in die Kernkommissionen stellt sicher, dass alle Interessengruppen und Fachbereiche der Uni von ihrem Mitbestimmungsrecht Gebrauch machen können.

Der Haken an der Sache: Die Medienstelle lässt in ihrem Statement zur geplanten Harmonisierung unkommentiert, dass in deren Zuge nicht nur Sitze vergeben, sondern auch welche entzogen werden sollen. Letzteres geht aus Gesprächen hervor, die die ZS mit führenden Mitgliedern der Standesvereinigungen geführt hat. Diese wurden vom Generalsekretariat vergangenen November über Inhalt und Zweck des Projekts informiert. Vertretungen sollen nur noch durch Einzelpersonen und nicht mehr, wie das bisher teils der Fall war, in Gruppen von zwei oder drei erfolgen. Das heisst: Mehrere Stakeholder verlieren an Einfluss. Durch die Umstrukturierung soll eine «Verschlankung» der Kommissionen und damit eine «Effizienzsteigerung» von gremieninternen Prozessen erzielt werden. 14 der 19 Kernkommissionen wären von Änderungen in der Zusammensetzung betroffen.

Die Studierenden verlören dabei mehr Sitze als alle anderen Stände, nämlich 9 von 23; jeweils zwei in der Ethikkommission und der Mensakommission und jeweils einen in der Forschungskommission, der Gleichstellungskommission, der Kommission Lehre und Studium, der Nachhaltigkeitskommission und der Kommission UZH Interdisziplinär. Dies obwohl der Stand der Studierenden mit rund 27’000 Angehörigen der mit Abstand grösste ist.

Auch die Stimmmacht würde geschwächt

Die Effekte dieser Umstellung wären signifikant. «Einige der Organe – etwa die Kommission Lehre und Studium, die Mensakommission und die Ethikkommission – behandeln Hauptanliegen der Studierenden und des Studierendenverbandes», sagt Laura Galli, Co-Präsidentin des VSUZH und Mitglied in dessen Bildungspolitischer Kommission (BiKo) (einem Gremium also, das nicht zu den 19 Kernkommissionen gehört). «Da die Kommissionen über eigenständige Entscheidungskompetenzen verfügen, würde die Einflussnahme der Studierenden auf wichtige Angelegenheiten aktiv minimiert.»

Gemäss den der ZS vorliegenden Informationen würde nämlich auch die Stimmmacht der Studis geschwächt – in allen Kommissionen, in denen sie Sitze verlieren. Während sie in der Mensakommission zurzeit 21,4 Prozent der Mitglieder ausmachen, wären sie nach vollzogener Harmonisierung noch bei 5,8 bis 10 Prozent (je nachdem wie viele Fakultätsdelegierte hinzukämen). Eine kleinere aber immer noch drastische Reduktion von 15 auf 8,3 Prozent träfe sie in der Kommission Lehre und Studium. In der Ethikkommission würde ihr Anteil von 13 auf 5,8 Prozent sinken. Die Gleichstellungskommission enthielte statt 11,7 neu 7,7 und die Kommission UZH Interdisziplinär statt 12,5 neu 8,3 Prozent Studierende. Nicht ins Gewicht fallende Verluste wären in der Nachhaltigkeitskommission und der Forschungsförderungskommission zu verzeichnen.

Das Projekt ist noch nicht beschlossene Sache

Die Einflussmacht der Stände ist an der Uni ohnehin schon gering – auch in den Kommissionen sind sie mit ihren Anliegen jeweils in der Minderzahl. Nun soll die Position der Studierenden weiter geschwächt werden. Keiner der anderen Stände hätte bei einer Annahme der Projektvorlage annähernd gleich grosse Machteinbussen zu beklagen.

Die durchgeführten Berechnungen sind mit Vorsicht zu beurteilen – noch ist das Projekt nicht beschlossene Sache, die Bedingungen nicht offiziell und Verhandlungen möglich. So besteht angeblich die Option, dass Studierende in der Mensakommission doch alle drei Sitze behalten dürften, oder zumindest zwei – dies berichtet Caroline Weckerle auf Anfrage. Weckerle ist Privatdozentin am Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik und Präsidentin der Mensakommission.

«Mit weniger Stimmen wären die Studierenden in ihrer Meinungsvielfalt unipolitisch nicht mehr angemessen vertreten.»
Isaias Moser, Studierendenvertreter in der Erweiterten Universitätsleitung

Heinz Röthlisberger, Geschäftsführer der Vereinigung des administrativen und technischen Personals (V-ATP), sieht in der Reduktion auf jeweils einen Sitz sogar eine Chance: «Wenn man künftig alleine und nicht mehr zu zweit als Delegierte*r eingesetzt wird, wäre dies ein Anreiz, sich im Vorfeld von Abstimmungen mit den anderen Standesorganisationen oder sogar den Fakultäten abzusprechen und eine Einigung zu erzielen.» Als Ausgleich für die Reduktion der Sitze wünscht sich die V-ATP zudem eine konsequente Einbindung der stellvertretenden Delegierten. «Diese wären zwar keine stimmberechtigten Kommissionsmitglieder, wären aber im Loop, würden also sämtliche Informationen, Protokolle und so weiter erhalten. Das würde die Möglichkeit eines internen Austausches garantieren.»

Der VSUZH fordert eine Vernehmlassung

Den VSUZH schmerzt indes nicht nur der wahrscheinliche Verlust an machtpolitischem Einfluss. «Mit weniger Stimmen wären die Studierenden in ihrer Meinungsvielfalt nicht mehr angemessen vertreten», sagt Isaias Moser, BiKo-Mitglied und VSUZH-Delegierter in der Erweiterten Universitätsleitung (EUL). Auch sei es in Gruppen von zwei oder drei einfacher, sich durchzusetzen –  und der Austausch untereinander wertvoll.

Im Rahmen des Harmonisierungsprojekts müssten selbsterklärend die Geschäftsordnungen der Kommissionen überarbeitet werden. Teilweise müsste überhaupt erst eine verfasst werden. Laut Moser befürwortet dies der VSUZH: «Eine präzisere Regelung der Prozessabläufe und der Rechte und Plichten von Delegierten sorgt für mehr Struktur und Gewissheit.» Irritierend sei aber, dass die Neuerungen dem Verband als eine Art Ausgleich für seine Sitzverluste präsentiert worden seien. Weder reichten revidierte Geschäftsordnungen als Kompensation aus, noch hätten diese überhaupt viel mit dem Mitbestimmungsrecht der Stände zu tun.

Die BiKo hat ihren Unmut in einem Schreiben ans Generalsekretariat der Unileitung kundgetan und dabei auch um eine offizielle Vernehmlassung gebeten. Eine solche würde allen betroffenen Parteien die Möglichkeit geben, zum Projekt Stellung zu nehmen. Vernehmlassungen sind laut Uni-Webseite «für Geschäfte und Gesetzesvorhaben von gesamtuniversitärer Relevanz» vorgesehen. Diese Bedingungen wären im Fall des Harmonisierungsprojekts gegeben; es tangiert sämtliche institutionellen Interessen- und Fachgruppen und somit die Hochschule als Ganzes.

Schlechte Chancen auf Ablehnung des Vorhabens

Auch Röthlisberger hält eine Vernehmlassung für angebracht: «Das Mittel der Vernehmlassung wäre in diesem Fall nötig und wichtig, da die Stände direkt in ihrem Mitbestimmungsrecht betroffen sind. Eine Information über Geplantes ist nun mal nicht dasselbe wie eine formale Vernehmlassung.»

Trotzdem hat die Unileitung bis jetzt keine initiiert.

«Man hätte kommunikativ ein wenig geschickter agieren können.»
Jan Helbing, Co-Präsident Fortgeschrittene Forschende und Lehrende

Jan Helbing, Co-Präsident der ständischen Vereinigung der fortgeschrittenen Forschenden und Lehrenden (VFFL) zeigt Verständnis für das eilige Vorgehen der Uni. Da die nächsten Wahlen der Kommissionsvertretungen bereits 2024 stattfänden, müsse die Durchführung des Projekts wohl schnell vorangetrieben werden. «Trotzdem hätte man kommunikativ ein wenig geschickter agieren können», so Helbing.

Während Röthlisberger und Helbing das Vorgehen der Uni in diesem konkreten Fall kritisieren, halten sie die Verschlankung der Kommissionen grundsätzlich für eine gute Idee. Für die V-ATP und die VFFL sind allerdings auch weniger Sitzverluste und vor allem weniger Stimmmacht-Verluste geplant als für die Studierenden.

Die Unileitung hat schon mal die Studierenden umgangen

Wird auf eine Vernehmlassung weiterhin verzichtet, bleibt dem VSUZH nur noch, die Unileitung und das Generalsekretariat im informellen Gespräch um Kompromisse zu bitten. Doch schon in einer der nächsten Sitzungen der EUL soll über das Projekt entschieden werden. Obwohl die Studierenden dort mit zwei Stimmen vertreten sind, dürfte keine grosse Chance auf Ablehnung der Vorlage bestehen: Die Standesvereinigungen mit Ausnahme des VSUZH unterstützen das Projekt – das bestätigen Gespräche mit ihnen – und die Fakultäten würden bei einer Annahme nur wenige Sitze verlieren und einige dazugewinnen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Universitätsleitung der Uni Zürich aufgrund mangelhaften Einbezugs von Hochschulangehörigen bei der Durchsetzung von grossen Projekten in die Kritik gerät. Zwischen 2016 und 2018 etwa führte die Planung der «Bibliothek der Zukunft» zu einer starken institutionellen und medialen Aufregung. Die umfassende Reform des Bibliothekssystems, bei der Bücher digitalisiert, Standorte zusammengelegt und deren Steuerung zentralisiert wurde, erweckte Befürchtungen bezüglich der Zukunft geisteswissenschaftlicher Forschung, der Lernpraktik der Studierenden und der Sicherheit von Anstellungen. Erst auf grossen Druck gab Projektleiter Christian Schwarzenegger nach und gewährte den Betroffenen Mitsprache.