Frauen in den Fängen des IS
Das Human Rights Film Festival fand im Kulturhaus Kosmos statt, am Wochenende vor dessen Konkurs. Dort gezeigt wurde unter anderem die Dokumentation «Isis-Bräute». Der Film zeigt die erschreckende Realität westlicher Frauen, die dem IS beigetreten und dann entflohen sind.
An diesem Abend herrscht im Kinosaal des Kosmos stille Betroffenheit. Das Gesehene zieht den Zuschauenden den Boden unter den Füssen weg, denn die Erlebnisse der porträtierten Frauen sind für die westliche Welt kaum vorstellbar. Der Dokumentarfilm von Alba Sotorra Clua gibt Einblicke in das Leben der sogenannten «Isis-Bräute», westlicher Frauen, die sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben und nun in einem Flüchtlingslager in Syrien festsitzen. Die damals 15-jährige Engländerin, Shamima Begum, ist eine von ihnen. Mit 19 Jahren äusserte sie den Wunsch, nach Grossbritannien zurückzukehren. Jedoch bisher ohne Erfolg, Begum wurde ihre Staatsbürgerschaft aberkannt.
Frauen im Flüchtlingslager getötet
Der Drehort der 90-minütigen Dokumentation «Isis-Bräute» ist das Flüchtlingslager «al-Roj» im Nordosten Syriens. Es herrschen ähnliche Zustände, wie in anderen Flüchtlingscamps: Grosse weisse Zelte, schlammiger nasser Boden, mangelhafte und fehlende sanitäre Einrichtungen, zu wenig sauberes Trinkwasser und offen durch das Lager fliessendes Abwasser. Die Autorin und Regisseurin Alba Sotorra Clua aus Barcelona hat die «Isis-Bräute» zwei Jahre lang begleitet. Zu sehen sind lachende und weinende Frauen mit ihren Kindern. Die kurdische Frauenrechtsaktivistin Sevinaz Evdike trägt einen grossen Anteil daran, dass es den Frauen den Umständen entsprechend gut geht. Sie veranstaltet Workshops und hilft ihnen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und zu sehen, wie ihre Schwachstellen ausgenutzt wurden. Sie ist die eigentliche Heldin dieses Films. Evdikes Freundin wurde bei einem Anschlag des IS getötet. Doch sie hegt keinen Groll gegen die Frauen, sondern sieht es als ihre Pflicht an, sie zu rehabilitieren. Es mache ja sonst niemand.
Ganz anders stehen manche Campbewohner*innen zu den Frauen. Wer sich gegen den IS stellt, ist in Gefahr. So wurde nach einem Interview mit Journalist*innen über den IS ein Zelt mit Frauen und ihren Kindern darin in Flammen gesetzt. Kein Wunder, dass Shamima Begum sich 2019 bei ihrem Interview nicht gegen den IS geäussert hat. «Ich habe nach dem Brand nicht mehr schlafen können, weil ich dachte, wir sind die nächsten», sagt Begum. Die Pro-IS-Äusserungen brachten die Öffentlichkeit jedoch gegen sie auf und führten schliesslich dazu, dass Begum die Staatsbürgerschaft aberkannt worden ist und damit eine Rückkehr nach England unmöglich erscheint.
Von 2011 bis 2014 kontrollierte die extremistische Gruppe «Islamischer Staat im Irak und in Syrien» (ISIS) Gebiete im Irak und Teile des benachbarten Syriens und verfolgt das Ziel eines grenzüberschreitenden Staates. Als sich 2014 der damalige Anführer der irakischen Organisation, Abu Bakr al-Baghdadi, zum Kalifen ernannte und den islamischen Staat (IS) ausrief, machten sich zehntausende Freiwillige aus etlichen Ländern auf den Weg, um sich ihm anzuschliessen. Mit dem Kalifat richtet sich der IS nicht nur an Gläubige in der Region, sondern erhebt Anspruch auf die weltweite Führung aller Muslime. US-Präsident Trump teilte 2019 mit, Baghdadi getötet zu haben. 2010 hatte der IS unter dessen Führung nicht mehr als tausend Gotteskrieger, sogenannte Mujadaschis, und stand kurz vor der Zerschlagung. Infolge des amerikanischen Abzuges aus dem Irak, der im Dezember 2011 vollendet wurde, schaffte er innerhalb von drei Jahren eine terroristische Armee zu formen, die weite Teile Ostsyriens und des Nordwestiraks einnahm und dort einen Dschihadistenstaat aufbaute.
Freigelassen wird, wer einen IS-Anhänger heiratet.
Dass Frauen aus westlichen Ländern ihr Leben hinter sich gelassen haben, um im Dschihadistenstaat zu leben, ist schwer nachzuvollziehen. In langen und persönlichen Interviews erzählen sie, was sie dazu bewegt hat: Einige von ihnen sind Musliminnen und wollten ihre Glaubensangehörigen in Form von Bildungsarbeit oder Tätigkeiten im Krankenhaus unterstützen. Einige geben zu, sich von den propagandistischen Videos des IS beeinflusst haben zu lassen. Sie seien in ihrer Heimat unzufrieden gewesen und hätten sich als Aussenseiterinnen gefühlt. Was sie dann jedoch in Syrien erwartete, hatte mit den Versprechungen des Kalifats nichts zu tun. Nach ihrer Ankunft wurden sie in ein Frauengefängnis, ein sogenanntes «Madafa», gesteckt. Dieses konnten sie erst verlassen, wenn sie einen Mann des Kalifats geheiratet hatten. Die Frauen konnten in den meisten Fällen mehrere Männer treffen und zwischen ihnen wählen. Auf den Strassen in Syrien angekommen, herrschte Chaos. «Es war die Hölle auf Erden», sagt eine der Frauen. Die IS-Polizei schreit die Frauen aus dem Auto mit einem Mikrofon an, wenn sie falsch gekleidet sind.
Der Fall von Shamima Begum ging besonders prominent durch die Medien. Sie erzählt von ihrer unglücklichen und entfremdeten Kindheit und ihrer Unfähigkeit, als 14-Jährige online zwischen gefälschten und echten Nachrichten zu unterscheiden. «Ich war das schwarze Schaf in der Familie.» Um dem Gefängnis zu entkommen, heiratet Begum ein holländisches Mitglied der IS. Sie spricht zwar von echter Zuneigung, doch war sie oft allein und musste ihre Kinder allein aufziehen. Als sie im Film vom Tod ihrer drei Kinder erzählt, herrscht Betroffenheit im Kinosaal. Es sind die Momente, in denen Begum Tränen zulässt. Sie erzählt, dass sie alle Kinder verloren hat und nicht einmal weiss, warum. Sie hatte keine Möglichkeit, mit diesen ins Krankenhaus zu gehen. «Nach dem Tod meiner Kinder wollte ich nicht mehr leben», erzählt Begum.
Forderung zur Aufnahme von ehemaligen IS-Frauen
Die Interviews mit anderen Frauen aus Belgien, den USA, Holland, Deutschland oder England, erzählen ähnliche Geschichten von Leben, die nach Sinn suchen, sich nach Aufmerksamkeit sehnen, rastlos nach Ventilen suchen. Vielen wurden die Augen geöffnet, als sie etwa die Sexsklav*innen-Märkte des IS erlebten. «Das hat nichts mehr mit unserem Islam und unseren Werten zu tun», sagt eine von ihnen. Unter dem IS dürfen die Frauen früh heiraten, nämlich bereits mit neun Jahren. Sie dürfen keine Schule besuchen und keiner Arbeit nachgehen. Jetzt bereuen es die Frauen, doch die Staaten erlauben keine Rückkehr für sie, nur für ihre Kinder.
Der Film zeigt neben den schrecklichen Geschichten der Frauen die brutale Vorgehensweise des IS. Es ist auch ein Film, der dazu aufruft, das Vorgehen westlicher Staaten zu hinterfragen. Waschen sich Länder die Hände von Schuld frei, wenn es um eine Rückkehr der Frauen geht? Ist es die Aufgabe des kurdischen Volkes, in ihrer eigenen angespannten Situation, sich um die ehemaligen IS-Anhänger*innen zu kümmern? Wie kann eine Regierung 64’000 Frauen und Kinder zu Lasten der Kurden in Syrien zurücklassen?
Im Anschluss an den Film erzählen Letta Tayler, Associate crisis and conflict director bei Human Rights Watch, und die iranisch-amerikanische Journalistin Azadeh Moaveni, dass sich die Zustände in dem Camp deutlich verschlechtert haben. Die Frauen sitzen immer noch dort fest. Ein Junge im Alter von 11 Jahren wollte sich erhängen und es fanden mehrere sexuelle Übergriffe statt. Die schlechte Organisation der Camps führe dazu, dass niemand belangt werden kann. Was beide Speakerinnen fordern, sind bessere politische Lösungen und eine bessere Organisation des Camps. «Wenn ein EU-Staat beginnen würde, die IS-Bräute aufzunehmen, würden die anderen bestimmt mitziehen. «Es muss nur ein Staat mal den Anfang machen», betont Letta Tayler.