Mit Bildung gegen das Artensterben

Mit einem neuen Studiengang will sich die Uni für Biodiversität stark machen.

Miriam Thölke (Text) und Valentina Kunz (Illustration)
4. Dezember 2022

Ab September 2023 kann man an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Zürich «Biodiversität» studieren – ein Fach, das sich mit der Vielzahl und Unterschiedlichkeit von Arten und ihren Lebensräumen befasst. Das Thema ist brisant: Der Verlust der biologischen Vielfalt des Planeten wird als eines der grössten Probleme unserer Zeit angesehen. Welchen Beitrag will die Uni mit dem neuen Studiengang in der Krise leisten und wieso kommt er erst jetzt?

Seit Jahren steckt die Uni viel Geld in die Biodiversitätsforschung. Nun wird die Disziplin auch in der Lehre verankert. Im neuen Bachelorprogramm soll eine starke naturwissenschaftliche Basis mit transdisziplinären Elementen kombiniert werden. Das bedeutet: Studierende sollen einerseits verstehen, welche Prozesse Biodiversität schaffen, welche sie erhalten und welche sie gefährden. Doch andererseits stehen auch politische und gesellschaftliche Prozesse auf dem Lehrplan, damit die Studierenden später einmal an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik agieren können. In absehbarer Zukunft soll ein Master das Programm ergänzen. Wann ist noch unklar.

Vielfalt macht Ökosysteme stabiler

Doch was ist Biodiversität eigentlich genau? Florian Altermatt, Programmverantwortlicher des neuen Studiengangs erklärt: «Biodiversität ist die Vielfalt des Lebens». Das umfasst von unseren Darmbakterien, über die Schweizer Hochmoore bis hin zum Amazonas-Regenwald alles, was lebt. Die Vielfalt ist wichtig, denn je unterschiedlicher die Arten sind, desto stabiler und widerstandsfähiger ist das Ökosystem, in dem sie leben. Gerade in Hinblick auf die Klimaerwärmung wären solche robusten Systeme zentral. Doch die Biodiversität geht immer weiter zurück: «Momentan sind rund ein Drittel aller Arten bedroht. Das letzte Mal ähnlich hohe Aussterberaten gab es, als die Dinosaurier ausgestorben sind», sagt Altermatt. Der Grund für den Schwund der Biodiversität ist simpel: Der Mensch lebt nicht genügend nachhaltig. Wir nutzen das Land zu intensiv, beuten Organismen direkt aus, verschmutzen ihre Lebensräume und sorgen mit der Klimaerwärmung für unnatürliche Lebensbedingungen.

Der Forschung ist der Schwund der Biodiversität seit langem bekannt. Wieso kommt der Studiengang erst jetzt? Darauf gibt es laut Altermatt keine einfache Antwort. Ein Grund sei, dass der Verlust der Biodiversität der Gesellschaft weniger bewusst sei als beispielsweise der Klimawandel. Arten sterben eben leise, und das bemerkt man oft nicht unmittelbar.

Annäherung an die Praxis

Altermatt sagt: «Viele schauen auf eine satt grüne Wiese und denken sich: Hier ist es Grün, hier hat es ja Pflanzen. Doch solche intensiv genutzte Wiesen sind sehr artenarm.» Zudem gab es, anders als beim Klimawandel, keine Triggermomente, die unmittelbar zu einem Hochschulprogramm geführt hätten. Für das Umweltwissenschaftsstudium, das unter anderem den Klimawandel behandelt, war das zum Beispiel die Chemie-Katastrophe von Basel 1986.

Ein weiterer Grund für die späte Aufnahme ins Studienprogramm ist, dass Biodiversität im Biologiestudium zunehmend an den Rand geraten ist. Biodiversität hatte lange eine deskriptive Funktion, man lernte zum Beispiel Arten auswendig. In den letzten Jahren hat sich das Biologiestudium immer mehr der Praxis angenähert und dadurch wurde die

Biodiversität zunehmend aus dem Programm verdrängt. Zudem wurden die prozessbezogenen Aspekte der Biodiversität im Studiengang bisher wenig berücksichtigt. Doch es braucht Leute, die genau diese Prozesse verstehen, damit die Biodiversität unseres Planeten in Zukunft ausreichend geschützt werden kann.