Das grosse Gentech-Geknorze

Das Verbot von Erbmanipulation in der Schweizer Landwirtschaft wurde kürzlich verlängert. Einige Naturwissenschaftler*innen sehen das kritisch.

4. Dezember 2022

Nahe der Zürcher Katzenseen liegen merkwürdige Felder, umrahmt von Stacheldrahtzäunen und Videokameras. Sie befinden sich am geschützten Standort Reckenholz von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Schützen würden sie die Gentech-Felder nicht etwa vor ausbrechenden Pflanzen sondern vor einbrechenden Aktivist*innen, erzählt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen.

Der Kampf gegen den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft hat seinen Ursprung in den 1970er-Jahren. Ein Sieg der Gentech-Gegner*innen war, dass solche Pflanzen seit 2005 in der Schweiz einem Verbot unterliegen. Bekannt ist das Verbot als «Gentech-Moratorium». Alle vier Jahre entscheiden Bundes-, National- und Ständerat über dessen Verlängerung. Erlaubt ist nur der Anbau zu Forschungszwecken wie etwa in Reckenholz.

Pflanzen an Trockenheit anpassen

Zuletzt wurde das Moratorium 2021 verlängert, jedoch mit einer zusätzlichen Bestimmung: Der Bundesrat muss bis 2024 entscheiden, ob das Moratorium auch neue gentechnische Verfahren betreffen soll. Denn einige bemängeln, das alte Gesetz träfe auf die neuen Methoden nicht zu. Diese gelten als zielgerichteter und weniger riskant als andere Züchtungsverfahren, da sie ohne transgene, das heisst artfremde, DNA auskommen.

Ein solches Verfahren ist die nobelpreisgekrönte Genschere «CRISPR/Cas9». Sie kann Gene effizient verändern, indem sie ein entsprechendes Stück DNA auftrennt. Die Zelle versucht dann, das Gen zu reparieren, doch dabei passieren Fehler. Es gibt eine Mutation. Nach einigen Wiederholungen entstehen verschiedene Gen-Versionen, aus denen man die beste auswählen kann. Das erlaubt ein gezieltes Ankurbeln der Züchtung. Zum Beispiel kann man Pflanzen schnell an trockene Bedingungen anpassen, was normalerweise Jahrzehnte dauert.

Den Begriff Gentechnik genau einzugrenzen ist schwierig. Je nachdem, wen man fragt, versteht man darunter Pflanzen mit artfremder DNA, im Labor manipulierte Pflanzen oder eine Reihe anderer Züchtungstechniken auf Gen-Ebene. Den Bundesrat beraten in dieser Entscheidung zwei Kommissionen: die «Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit» und die «Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie». Sie sollen beurteilen, ob neue gentechnische Verfahren einen Mehrwert für Landwirtschaft, Umwelt und Konsumierende haben. Im Oktober 2022 verkündete die Ethikkommission, dass es zu wenig Wissen für eine angemessene Risikobeurteilung gebe und riet von Gentechnik ab.

«Wir sind uns nicht in allen Punkten einig», meint Eva Gelinsky über den Entscheid. Sie ist seit 12 Jahren Mitglied der Ethikkommission, lebt selbst auf einem Biobauernhof und koordiniert die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit. Ihrer Meinung nach seien Pflanzen zu komplex und die Verfahren zu jung, als dass die Folgen von Genmanipulationen absehbar wären.

In diesem Zusammenhang betont Gelinsky das im Gentechnikgesetz verankerte Vorsorgeprinzip. Demnach gilt es, alle denkbaren Umweltschäden zu vermeiden, selbst wenn unklar sei, ob sie wirklich eintreffen. Für Gelinsky könnte ein denkbarer Umweltschaden zum Beispiel durch einen gentechnischen Eingriff in den Fettsäurezyklus einer Pflanze entstehen. Dieser könne Organismen, etwa Insekten, schaden, die auf ein bestimmtes Fettsäureprofil angewiesen seien und so das gesamte Nahrungsnetz beeinflussten.

Problem bei Kommissionszusammensetzung

Anders sieht das Urs Klemm von der Fachkommission für biologische Sicherheit. Diese erkennt im Gegensatz zur Ethikkommission grosses Potential in der Gentechnik, etwa bei der Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel. «Wir haben verschiedene biologische Risiken eingestuft und sind zum Schluss gekommen, dass Risiken herkömmlicher und gentechnischer Zuchtmethoden gleichermassen sehr klein sind», so Klemm.

Eine gängige herkömmliche Methode, die derzeit gesetzlich erlaubt ist, basiere auf der Erzeugung neuer Gene durch radioaktive Bestrahlung. Die Auswirkung einer solchen Behandlung lasse sich nicht vorhersagen. Demgegenüber werden bei modernen Methoden kontrollierte Eingriffe vorgenommen. «Wo ist da das zusätzliche Risiko?» fragt Urs Klemm. «Was zählt, sind die Eigenschaften der Endprodukte.» Christian Wasserfallen bestätigt, man müsse auch bei konventionellen Zuchtverfahren «in einem Feldversuch die Eigenschaften der Pflanze herausfinden.» Denn auch diese Zucht ist nicht automatisch sicherer. Nur unterliegt sie weniger strengen Kontrollen. Die Schweizer Politik hat schon 2005 das nationale Forschungsprogramm 59 beantragt, welches diese Auffassung bestätigt: Die Gentechnik berge keine neuen Gefahren in sich.

Daher scheint es kurios, dass sich die Ethikkommission nach wie vor auf eine mangelnde Erkenntnislage beruft. Urs Klemm sieht das Problem in der Zusammensetzung der Kommission. Vertreten seien hauptsächlich Menschen mit philosophischem, theologischem und Ethik-Hintergrund: «Sie kommen zu erstaunlichen Schlussfolgerungen, wenn sie die naturwissenschaftliche Forschung beurteilen», meint Klemm.

Trotzdem fand das Vorsorgeprinzip mit der Unterstützung der Politik seinen Weg ins Gentechnikgesetz. Klemm liefert eine mögliche Erklärung für diese Hartnäckigkeit: «Wenn man sagt, man soll mehr herausfinden, muss man keinen unpopulären Entscheid treffen.» Dass das Moratorium in dieser Form existiert, liegt auch an seiner allgemeinen Beliebtheit. Die Politik, so Klemm, sei keine geistige Elite mit naturwissenschaftlicher Bildung, sondern ein Spiegel des Volkes. «Ich könnte mir durchaus ein schlaueres Gesetz vorstellen. Ob das am Schluss die Akzeptanz der breiten Bevölkerung finden würde, ist eine andere Frage.» Entscheidend für den Beschluss, die Vereinbarkeit der neuen gentechnischen Verfahren mit dem Moratorium zu prüfen, war die Neupositionierung des Schweizer Bauernverbands und der SVP. Vor fünf Jahren hatten sich beide noch für ein absolutes Verbot ausgesprochen.

Ein Umschwung zeichnet sich auch in der Öffentlichkeit ab. Man sieht zum einen das Potential der neuen gentechnischen Methoden. Zum anderen steigt das Bewusstsein für die Probleme in der Landwirtschaft: Pestizide und Überdüngung belasten das Grundwasser, Felder leiden unter Trockenheit. Gelinsky wirft der Politik vor, sich zu wenig um diese Probleme gekümmert zu haben.

Anstatt die Landwirtschaft als komplexes Gesamtsystem zu betrachten, stütze sie sich auf die vermeintlich einfache Lösung der Gentechnik: «Man hofft auf einen Techno-Fix, um das bestehende System noch möglichst lange zu erhalten.» Laut Gelinsky sei ökonomisches Interesse ausschlaggebend für die neu aufgeflammte Debatte um das Moratorium. Mächtige Lobbygruppen würden Politik und Wissenschaft beeinflussen: «Es gibt Fälle, wo Menschen, die sich für eine Deregulierung einsetzen, auch Patente angemeldet haben.»

Macht die Natur auch Gentechnik?

Warum dieses Argument jetzt entscheidend sein soll, obwohl Gentechnik seit fast 20 Jahren verboten ist? Wasserfallen räumt ein, dass sich Lobbygruppen in der Schweiz vor allem gegen die Gentechnik einsetzen würden. Eine dieser Gruppen ist die Bio-Landwirtschaft die sich von der Gentechnik bedroht fühle, so Gelinsky. Es wäre für Bio-Höfe teuer, sich zu schützen, denn der biologische Anbau sei nicht vereinbar mit gentechnischen Methoden. Der Biobereich gehe mit Lebewesen anders um als die konventionelle Landwirtschaft: «Die kleinste Einheit ist die Zelle. Da wird aus ethischen Gründen nicht eingegriffen», so Gelinksy. Wahrscheinlich bleibt das Moratorium 2025 bestehen. Unklar ist, ob es weiterhin neue gentechnische Verfahren betreffen wird. Ungeachtet dessen wird sich die Schweiz wegen der Handelsbeziehungen an die Richtlinien der EU anpassen müssen.

Das Gesetz definiert eine gentechnische Veränderung als etwas, das in der Natur nicht vorkommt. Klemm meint, so etwas nachzuweisen sei unmöglich. Er findet eine umfassend revidierte gesetzliche Grundlage angebracht, die den modernen Erkenntnissen Rechnung trägt. Schliesslich entspreche auch das Familienrecht von 1848 nicht mehr heutigen Vorstellungen.