Der Eisblock wurde am Donnerstag vor das Bundeshaus platziert und symbolisiert die eingefrorenen Beziehungen der Schweiz zur EU. Die einzelnen Objekte stehen für verschiedene Bereiche, in denen etwas passieren soll: Von der Bildung bis zur Energiepolitik. Kai Vogt

«Wir müssen die politischen Kräfte dazu zwingen, über Europa zu sprechen»

Die Europa-Initiative nimmt Form an: zuerst wird Geld gesammelt, dann Unterschriften. Auch der VSS will den Bundesrat dazu verpflichten, sofort Verhandlungen mit der EU aufzunehmen.

4. November 2022

Ein Eisblock auf dem Bundesplatz. Darin eingefroren: verschiedene Objekte, zum Beispiel ein Mikroskop und ein Doktorhut. Und vorne die Aufschrift «Schweizer Europapolitik». Die Symbolik ist leicht zu verstehen: Es geht um die eingefrorenen Beziehungen der Schweiz zur EU seit dem Scheitern des institutionellen Rahmenabkommens. Eine neu gegründete Allianz, zu der auch der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) gehört, will sie mit der Europa-Initiative wieder auftauen lassen. Dafür sollen bis im Januar per Crowdfunding 500'000 Franken und im Frühjahr 100’000 Unterschriften gesammelt werden. Dies hat die Allianz am Donnerstag bei einer Aktion auf dem Bundesplatz bekanntgegeben. 

Die Politik zögert noch immer

Die Initianten Operation Libero, Grüne Schweiz, VSS, La Suisse en Europe, Suisseculture, und Volt Schweiz machen nun also Ernst mit der Initiative, die schon vor Monaten vorgestellt wurde – bisher hat man noch auf den parlamentarischen Weg gehofft. Nun sei der Geduldsfaden aber gerissen, nachdem der Ständerat letzte Woche den Entscheid über ein Europagesetz bereits zum dritten Mal verschoben hat, wie es in einer Mitteilung heisst. Genauer: Es geht um die Behandlung der parlamentarischen Initiative zur «Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU» und um die Motion «Dringliche Massnahmen zugunsten des Schweizer Forschungs-, Bildungs- und Innovationsstandorts». Man wolle zuerst den Europabericht des Bundesrates abwarten, so die Begründung der Kommission für die Verschiebung auf Anfang nächsten Jahres. 

Mit der Konkretisierung des Plans der Europa-Initiative wird nun der Druck auf das Parlament und den Bundesrat erhöht, was wohl der Hauptzweck der Allianz ist.  Denn eine möglichst baldige Deblockade durch die Exekutive wäre auch für die Initiant*innen noch immer die bevorzugte Lösung. Wirksam würde der Initiativtext, falls er überhaupt angenommen würde, nämlich erst in drei bis vier Jahren. Dieser würde den Bundesrat zur Klärung der institutionellen Fragen mit der EU verpflichten. «Uns ist es mit der Allianz bereits gelungen, das Thema etwas höher in der politischen Agenda zu platzieren, und das ist schon mal wichtig. Denn wir müssen die anderen politischen Kräfte dazu zwingen, in einem Wahljahr auch über Europa zu sprechen», sagt Luzian Franzini, Generalsekretär des VSS. 

«Wenn wir eine Vollassoziierung bei Erasmus erreichen, bevor die Initiative zur Abstimmung gebracht wird, würden wir uns als VSS zurückziehen.»
Luzian Franzini, Generalsekretär des VSS

Der VSS kämpft für Erasmus 

Dem Verband, der alle Studierenden der Schweiz vertritt, geht es vor allem um das Forschungsprojekt Horizon und das EU-Austauschprogramm Erasmus, wobei letzteres klar priorisiert wird. «Wir fordern, dass die Schweiz eine Vollassoziierung bei Erasmus plus erhält. Wenn dieses Ziel erreicht wird, bevor die Initiative zur Abstimmung gebracht wird, würden wir uns als VSS zurückziehen», so Franzini weiter. Der Jungpolitiker findet, dass besonders Erasmus, ein Kernanliegen der Studierenden, zu wenig Aufmerksamkeit in der Debatte erhält. Bei Horizon gehe es um den Forschungsstandort Schweiz und dieser hänge viel enger mit wirtschaftlichen Interessen zusammen. Deswegen sei die Lobby bei Horizon viel grösser. «Dagegen wird Erasmus stiefmütterlich behandelt», sagt Franzini im Gespräch auf dem Bundesplatz, wo die Allianz gemeinsam aufgetreten ist. 

Diese Art öffentlicher Einmischung des VSS in die aktuelle Politik ist selten. 2014 war dies das letzte Mal der Fall, als der VSS die «Stipendieninitiative» lanciert hat, welche das Stipendienwesen nicht mehr kantonal, sondern auf Bundesebene regeln lassen wollte. Sich nun bei der Europa-Initiative zu beteiligen, wurde im Mai von der Delegiertenversammlung des Verbandes entschieden, zu der auch der VSUZH und der VSETH gehören. Das Mandat sei dabei aber klar eingeschränkt: «Es geht um die bildungspolitischen Aspekte der europäischen Zusammenarbeit, die wir vorwärts bringen möchten», so Franzini. Ein starkes Signal nach aussen sendet das Bild auf dem Bundesplatz dennoch. So ist es auch ungewohnt, dass sich der VSS mit Akteuren wie Operation Libero zeigt, eine Organisation mit einem klaren politischen Profil. 

Zum Schluss der Aktion haben die Allianz-Partner*innen den Eisblock mit Eispickeln symbolisch gemeinsam bearbeitet. Doch viel Eis abschlagen konnten sie dort nicht. Die Beziehungen zur EU bleiben erstarrt und damit die Möglichkeiten für Studierende beschränkt. Dafür wurde aber die politische Debatte rund um die Europa-Frage angeheizt, und dies könnte den Eisblock langfristig zum Schmelzen bringen.