Tina Ackermann liest in der Altstadt Buchhandlung in Bülach aus ihrem neuen Buch «Frauen auf der Flucht» vor.

Eine Stimme für geflüchtete Frauen

Die Zürcher Autorin Tina Ackermann macht mit ihrem Buch «Frauen auf der Flucht» die Schicksale von 28 Frauen sichtbar. Im Rahmen von «Zürich liest» erzählt sie, wo sie ihre Protagonistinnen getroffen hat.

Ronja Afflerbach (Text und Bild)
3. November 2022

«Frauen auf der Flucht» beginnt mit der Geschichte der jungen Iranerin Ghazaleh aus Teheran, die mit einem 13 Jahre älteren Mann zwangsverheiratet werden sollte. Um dies zu verhindern, floh sie und landete im Flüchtlingslager «Mavrovouni» auf Lesbos. Dort arbeitete die Zürcher Autorin Tina Ackermann damals als Campaignerin für das Schweizer Hilfswerk. Sie half nach dem Brand des Lagers 2020 bei dessen Wiederaufbau, wie sie an der Lesung von «Zürich liest» erzählt. So habe sie die erste Protagonistin ihres Buches kennengelernt. Mittlerweile hat diese den Scheidungsantrag eingereicht und befindet sich in Deutschland.

Menschen statt Zahlen

Im Laufe von zwei Jahren hat Ackermann weitere geflüchtete und noch flüchtende Frauen in Griechenland, Schweden, in Libanon und der Schweiz aufgesucht. Wie sie an der Lesung betont, sei ihr wichtig gewesen, das Buch nicht auf Zahlen, sondern auf Erlebnissen basierend zu schreiben. Oft würden in der Öffentlichkeit die enormen Flüchtlingszahlen genannt, doch kaum jemand schaue auf die individuellen Schicksale. «Die Erlebnisse flüchtender Frauen unterscheiden sich von denjenigen von Männern. Flucht ist für Frauen oftmals noch gefährlicher. Viele Frauen sind zum Beispiel geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt», sagt die 62-jährige Autorin.

Ackermann stellt in ihrem Buch aber nicht nur Frauen in den Fokus. In der Zeit auf Lesbos hat sie Flüchtlingshelfer*innen, Sozialarbeiter*innen und Notfallmediziner*innen kennengelernt. Auch diese porträtiert sie in ihrem 248-seitigen Buch. Ebenso gibt sie Organisationen wie der «Stiftung Domicil» in Zürich, eine gemeinnützige Wohnungsvermittlung für sozioökonomisch benachteiligte Familien, Paare und Einzelpersonen, Raum. «Mir ist es wichtig, kleinen Organisationen eine Stimme zu geben», sagt Ackermann. Kontakte für ihr Buch hat sie auch von gemeinnützigen Organisationen wie «Cuisine Sans Frontières» und «Swiss 4 Syria» erhalten.

Wir reden über Flüchtlinge, aber kaum mit ihnen

Ackermann betont, dass sie Frauen auf der Flucht ein Gesicht geben möchte. Für die Interviews habe sie mit Frauen auf der Parkbank gesessen und einfach nur zugehört, nicht nachgebohrt. «Es sollen ihre Geschichten sein. Manche Frauen haben gerne erzählt und waren dankbar, andere waren so aufgewühlt und wollten danach keinen Kontakt mehr», erzählt sie weiter. Die 28 Frauen, mit denen sie gesprochen hat, sollen nicht als Opfer dargestellt werden. Sie sind junge Mütter, hoffnungsvolle Teenager, gebildete und transsexuelle Frauen sowie Analphabetinnen, die ein schönes Leben hatten. Es sind auch Frauen, die unterwegs Kinder bekommen haben, von ihrer Familie zur Flucht gezwungen wurden, mit traumatisierten Erfahrungen leben müssen. Frauen mit Humor und Selbstbewusstsein, viel Trauer und Angst, aber auch Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Freiheit.

Zu manchen der Protagonistinnen, beispielsweise aus Afghanistan, Somalia, Ukraine und Syrien, habe die Zürcher Autorin immer noch Kontakt. Zwei Frauen waren bei der Vernissage des Buches im Rahmen von «Zürich liest» am 26. Oktober vor Ort und haben ihre Geschichte selbst erzählt. Mit ihrem neuen Buch «Frauen auf der Flucht» gelingt es Tina Ackermann, ihnen ihre Stimme zurückzugeben. Sie schaute nicht weg, hörte zu und machte sie sichtbar.

Über das Buch:

«Frauen auf der Flucht» ist 2022 im Rotpunktverlag erschienen. Die zwei Lesungen im Rahmen von «Zürich liest» fanden am 26. Oktober im Kulturhaus Helferei und am 29. Oktober in der Altstadt Buchhandlung in Bülach statt. «Frauen auf der Flucht» ist im Handel erhältlich.

Über die Autorin:

Tina Ackermann, geboren 1960 in Zürich, ist Texterin und arbeitete frei für verschiedene Werbeagenturen und Unternehmen. Sie verfasste Porträts für das Magazin Nikon News und schrieb nach einer Ausbildung zur Drehbuchautorin ein Drehbuch für die SRF-Serie «Der Bestatter». Durch ihre Arbeit als Campaignerin ist sie mit flüchtenden Frauen in Kontakt gekommen. Sie ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Zürich.