Ein grosses Durcheinander: Die neue Universitätsbibliothek verbindet zahlreiche Standorte – für die Mitarbeitenden war die Umstellung sehr stressig.

Ein umstrittenes Prestigeprojekt

Hochschulpolitik — Der Zusammenschluss aller Fachbibliotheken bewegt bisher vor allem die Mitarbeitenden. Was es mit dem Zentralisierungsprojekt «UB» auf sich hat.

Anna Luna Frauchiger (Text) und Simone Stolz (Illustration)
31. Oktober 2022

Die Gründung der Universitätsbibliothek Zürich Anfang Jahr ging an den Studierenden weitgehend unbemerkt vorbei, eine mediale Reaktion blieb aus. Dabei hatte es 2016 und 2017, zu Beginn der Ausarbeitung des Projekts Universitätsbibliothek (UB), Kritik gehagelt: Sogar die «Frankfurter Allgemeine» und «Die Zeit» berichteten über Befürchtungen, die Uni Zürich wolle Fachbibliotheken schliessen und Bücher in externe Speicherbibliotheken auslagern.

Digitalisierung, Innovation, Zentralisierung

Bis das «Forum UZH» 2029 eröffnet wird, bleibt der Zusammenschluss jedoch organisatorischer Natur und die Standorte der Fachbibliotheken bleiben bis dahin bestehen. Neu wird der Buchbestand in sechs Bereiche unterteilt, denen jeweils vier bis elf Standorte angehören. Der Bereich 1 beispielsweise heisst «Geschichte, Kultur und Theologie» und der Bereich 2 umfasst verschiedene juristische Bibliotheken. Ziel der Universitätsleitung war es, mit internationalen Vorbildern mithalten zu können. 

Der verantwortliche Prorektor der Uni, Christian Schwarzenegger, meint: «Wir müssen am Bibliotheksstandort Zürich Digitalisierungs- und Innovationsschritte machen, die wir mit einer zentralen Organisation besser angehen können.» Auch Silvia Meyer-Denzler, Co-Teamleiterin des Nutzer*innendienstes für den Philologie- und Betriebswirtschaftsbereich, hält eine Zentralisierung für überfällig. Sie schätzt daran, dass das Bibliothekspersonal nicht mehr den Instituten unterstellt ist, sondern Fachleuten aus dem Bibliotheksumfeld. 

Neu können Bibliothekar*innen gebucht werden

Für die Studierenden und Forschenden hat die interne Umstellung vorerst noch wenig Konsequenzen. Längerfristig ist geplant, dass Studierende mittels Legi rund um die Uhr Zugang zu den Bibliotheken haben und Bücher mittels Selbstausleihe beziehen können. Noch ist das aber Zukunftsmusik, genauso wie die Vision, dass universitäre Forschungsprojekte von Expert*innen der Informationsbeschaffung eng begleitet werden. Dafür wurden die sogenannten «Liaison Librarians» geschaffen, Bindeglieder zwischen den Instituten und der UB. 

Aber bereits heute können Forschende wie Studierende über das neue Tool «Book a librarian» eine Beratungsstunde für ihre Recherche buchen. Und den bisher grössten Mehrwert der Reorganisation nach der ersten Projektphase bietet der Kurierdienst: Neu ist gewährleistet, dass ein Buch binnen 24 Stunden von einem beliebigen UB-Standort in die Zentralbibliothek oder jeden anderen UB-Standort geliefert wird.

«Plötzlich mussten wir dauernd Bücher von Standort zu Standort transportieren.»
Daniela Koller, Co-Teamleiterin des Mediendienstes des Bereichs 3 der UB

Es gibt allerdings auch Leidtragende der plötzlichen Umstellung: das Bibliothekspersonal. Zwar wurde Schwarzeneggers Versprechen gehalten, es würden keine Stellen gestrichen werden. Doch stattdessen wurden alle bisherigen Angestellten in der Organisationsstruktur neu platziert – eine aufwändige Umstellung für die Mitarbeitenden. Silvia Meyer-Denzler beschreibt den Zustand seit Jahresbeginn als «Megastress». Sie war bis 2021 Co-Leiterin einer Institutsbibliothek: «Als neue Co-Teamleiterin des Nutzer*innendiestes des Bereichs 3 bin ich nicht mehr für eine Bibliothek verantwortlich, sondern für sieben», sagt Meyer-Denzler.

Zusätzlich übernehme sie einige Stellenprozente als «Liaison Librarian» für das Fach Germanistik. Sie habe deshalb schlicht zu wenig Zeit gehabt, allen Mitarbeitenden zur Verfügung zu stehen. Täglich musste sie praktische Probleme aufgrund der neuen Struktur bewältigen, dazu kamen Sitzungen zur Erarbeitung und Vereinheitlichung von neuen Abläufen.

Öffentliche Reaktionen beim UB-Start leiser als erwartet

Daniela Koller, Co-Teamleiterin des Mediendienstes des Bereichs 3, spricht über die banalen Schwierigkeiten der Umstrukturierung: «Plötzlich mussten wir dauernd Bücher von Standort zu Standort transportieren.» Hinzu kommen technische Umstellungen: Neu kommunizieren alle Mitarbeitenden der UB über Microsoft Teams und bearbeiten Anfragen der Nutzer*innen über ein Ticketsystem.

Andreas Thier, Professor für Rechtsgeschichte, Kirchenrecht, Rechtstheorie und Privatrecht an der Uni Zürich gehört zu den Kritiker*innen der ersten Stunde. Just jene Ziele, an deren Ausarbeitung er im Steuerungsausschuss beteiligt war, seien äusserst schwer umzusetzen, der Graben zwischen Konzept und Praxis sei gross. Doch die öffentlichen Reaktionen bei Projektstart sind leiser ausgefallen als erwartet. Anders als im Oktober 2017 als die Universität erstmals offiziell über das Projekt UB informierte und es zu lauten Protesten kam.

VSUZH-Vertreter zeigt sich zufrieden

Thier war einer der grossen Gegner. Er befürchtete eine Umverteilung finanzieller Mittel zulasten der Geisteswissenschaften, und dass die Interessen der Forschenden zu kurz kämen. Die Institutsbibliotheken wiederum wollten die Hoheit über ihre Budgets behalten. Inzwischen sind die finanziellen Mittel aller Standorte jedoch zentral gebündelt und den Instituten bleibt kein Spielraum. Die Studierenden letztlich befürchteten eine Sparübung, den Verlust ihrer gewohnten Lernwelten und der fachlichen Beratung in den Institutsbibliotheken. 

Diese Befürchtungen hätten sich nicht bewahrheitet, findet Schwarzenegger. Die Einbindung von Studierenden und Fakultäten hätte dazu geführt, dass die Verabschiedung des Abschlussberichts im Steuerungsausschuss schliesslich «eine harmonische Sache» war. Auch Timothy Schürmann, seit 2018 als Vertreter des VSUZH im Steuerungsausschuss des UB-Projekts, ist erfreut, dass die Unileitung Kritik und Anregungen der Mitglieder des Ausschusses aufnahm. 

Düstere Prognose für Bezug von Forum UZH

Doch die Einbindung von Fakultäten und Studierendenschaft kam eindeutig zu spät: Sie wurden erst 2018 in den Steuerungsausschuss aufgenommen, der zuvor seit 2016 nur aus Mitgliedern der Universitätsleitung bestanden hatte. Schwarzenegger hat seine Lektion also gelernt: «Wir müssen bei Grossprojekten möglichst viele Akteure einbeziehen», sagt er. Denn: «Hätten wir die Studierenden und Mitarbeitenden früher einbezogen, hätten wir Ängste entkräften können.»

Heute blicken aber alle Beteiligten nach vorne, auch Andreas Thier: «Es ist nun mal der politische Wille, dass es ein zentralisiertes System gibt.» Die Entscheidung der Leitung akzeptiere er jetzt: «Der Steuerungsausschuss hat viele wichtige Ziele ausgearbeitet.» Rudolf Mumenthaler, Direktor der UB, stellt «keine fundamentale Opposition mehr fest», nur noch punktuelle Einwände. Silvia Meyer-Denzler aber ist froh, noch vor Eröffnung des Forums UZH pensioniert zu werden. Dort ziehen ab 2029 die Bibliotheken aus fünf der sieben Standorte des Bereichs 3 ein. «Ich fürchte, dass der Bezug des Forums für die Mitarbeitenden nochmals so kräftezehrend wird wie der Wechsel zur UB», so Meyer-Denzler. 

Die zwei UB-Männer hegen Zukunftsvisionen

Ihrer Befürchtung steht der Optimismus der Projektleiter entgegen. Denn Schwarzenegger und Mumenthaler hegen Zukunftsvisionen. Das wichtigste Thema für die Universitätsbibliotheken weltweit sei momentan, Forschungsresultate frei zugänglich und transparenter zu machen: «Bei der Open Science spielt international die Musik», so Mumenthaler.

Die beiden geizen nicht mit Schlagwörtern: Die «Digital Literacy» müsse man fördern,  genauso wie Projekte in den «Digital Humanities». Schwarzenegger zieht eine Bilanz der letzten sechs Jahre: «Wir wollten von Anfang an die besten Umstände für Studierende, Assistierende und Forscher*innen schaffen», erklärt er.

Korrigendum

In der Printausgabe der ZS 5/22, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist, haben sich bedauerlicherweise Fehler eingeschlichen. So wurde der Direktor der UB mit dem Vornamen Ruedi anstatt Rudolf genannt, und als Co-Direktor anstatt als Direktor bezeichnet. Ebenso wurden die beruflichen Funktionen von Daniele Koller und Silvia Meyer-Denzler teilweise falsch angegeben. Auch wurden unglücklicherweise zwei nicht autorisierte Zitate von Andreas Thier und eines von Christian Schwarzenegger abgedruckt. Die Redaktion entschuldigt sich für das Missgeschick. [red]