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Hochschulpolitik — Die Psychologische Beratungsstelle von Uni und ETH feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Sie kämpft mit einer stetig steigenden Nachfrage.
«Ich war an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich mich verloren gefühlt habe. Darum habe ich mich entschieden, mir professionelle Hilfe zu besorgen», heisst es auf einem Plakat der Psychologischen Beratungsstelle (PBS) von Uni und ETH. Die PBS hat Anfang Oktober ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert und zum Jubiläum eine Ausstellung im Lichthof der Uni und im Hauptgebäude der ETH organisiert.
Dort waren Zitate von Studierenden zu lesen, die Hilfe der PBS in Anspruch genommen haben. Zudem gab es eine Podiumsdiskussion und verschiedene Workshops zum Thema psychische Gesundheit. Besonders die Ausstellung machte klar: Viele Studierende haben mit grossen psychischen Belastungen zu kämpfen. Diese haben oft mit Herausforderungen im Studium zu tun, aber auch mit persönlichen und finanziellen Schwierigkeiten. Welche Verantwortung trägt dabei die PBS?
Mehr Anmeldungen, weniger Ressourcen
Die Beratungsstelle wurde als Folge der 68er-Bewegung gegründet. Die Studierenden forderten unter anderem eine Demokratisierung des Hochschulwesens, mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung und mehr Unterstützung im Alltag. Und die Proteste zeigten Wirkung: Vier Jahre später wurde die PBS ins Leben gerufen. Die Uni Zürich und die ETH galten dabei als Pioniere unter den Schweizer Hochschulen. In den Anfängen der Beratungsstelle konnten alle Studierenden eine längerfristige Beratung in Anspruch nehmen. 10 bis 15 Sitzungen pro Person waren damals möglich. Doch die Ressourcen wurden knapper und die Zahl der Neuanmeldungen an den Hochschulen stieg, bis hin zu 1'700 im letzten Jahr. Deswegen kann die PBS heute nur noch wenige Sitzungen pro Person anbieten. Die Psycholog*innen der Beratungsstelle müssen in kurzer Zeit viele Studierende mit diversen Problemen betreuen.
Die Studienzeit an sich bringt schon diverse Herausforderungen mit sich. Die Psychologin Lilly Shanahan, die an der Podiumsdiskussion teilgenommen hat, beschreibt die Zwischenphase zwischen der Jugend und dem Erwachsensein als «Emerging Adulthood». Es handle sich um eine Phase, in der viele Veränderungen im Leben geschehen. Diese «Anhäufung von Lebensereignissen» könne zu psychischen Problemen führen. Shanahan merkte an, dass das Gehirn in diesem Alter biologisch so eingestellt sei, dass man für mehr Risiken bereit ist. Wenn Studierende waghalsige Entscheidungen treffen, die ihre akademische, aber auch finanzielle Zukunft gefährden könnten, kann diese Risikobereitschaft negative Folgen haben. Daher sei eine professionelle Unterstützung für Studierende umso wichtiger.
Grossteil holt sich keine professionelle Hilfe
An der Podiumsdiskussion wurde auch über die Entwicklung der psychischen Probleme seit der Gründung der PBS diskutiert. Die Leiterin der PBS, Cornelia Beck, meint: «Die Fragen nach der eigenen Identität und Fragen , die sich auf das persönliche Umfeld beziehen, beschäftigen Studierende nach wie vor. Doch der Rahmen hat sich verändert: die Digitalisierung, die Globalisierung und dadurch die Internationalität.» Aktuelle Krisen wie die Pandemie oder der Ukraine-Konflikt, aber auch die laufende Entstigmatisierung psychischer Krisen haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen Hilfe in Anspruch nehmen. An die PBS wenden sich im Schnitt drei Prozent aller Studierenden. Einer Umfrage vom Bundesamt für Statistik im Jahr 2020 ist jedoch zu entnehmen, dass 23 Prozent der Studierenden Symptome von mittleren bis schweren Depressionen aufweisen. Daraus lässt sich vermuten, dass sich ein Grossteil der Studierenden mit psychischen Belastungen keine professionelle Hilfe holt.
So stand die Podiumsdiskussion der Jubiläumsveranstaltung auch unter dem Motto «Let’s talk about…». Es soll zeigen, dass Reden entlastet und dabei hilft, einen Perspektivenwechsel zu schaffen. Beck appelliert daran, «dass, wenn jemand psychische Belastungen verspürt, die Person wissen soll, dass sie nicht alleine ist.» Es lohne sich in der Regel, Hilfe zu holen. Doch dieser Appell steht im Widerspruch zu den fehlenden Ressourcen der Beratungsstelle, aufgrund dessen nur eine oberflächliche Behandlung möglich ist. «Ich wünsche der PBS, dass sie mit der Studierendenzahl wachsen und sich weiterentwickeln kann», so Beck. Doch dies liege im Hoheitsgebiet der Hochschulen. Die PBS kann selber nicht über ihre Ressourcen entscheiden.
Gabriele Siegert, Vize-Rektorin der Uni Zürich, meint, dass sich die Universitätsleitung diesen Problemen bewusst sei und diese auch ernst nehme.
Gruppen-Workshops wegen hoher Nachfrage
«Für die Uni Zürich gibt es zwei Ansätze, mit der steigenden Nachfrage nach psychologischer Beratung umzugehen. Eine Möglichkeit ist die Erhöhung der Ressourcen», so Siegert. In Zeiten knapper Mittel stosse die Uni hier an ihre Grenzen, zumal auch viele andere Stellen der Universität ihre Ansprüche anmelden würden. Ein zweiter Ansatz bestehe darin, mehr skalierbare Beratungsformate anzubieten, so zum Beispiel Gruppen-Workshops. Diskussionen um diese Formate würden in der Kommission PBS intensiv geführt.
Sie erwähnt jedoch: «Wenn ein Ressourcenantrag im Raum steht, wird die Universitätsleitung diesen – in Rücksprache mit der Hochschulleitung der ETH – sorgfältig prüfen.» Und so spielt sie den Ball wieder zurück an die Beratungsstelle, die darauf erst verzögert eine Antwort gibt: «Ein Ressourcenantrag ist seit Juni in Ausarbeitung, da wir jedoch einer Kommission unterstellt sind, die aus Mitgliedern beider Hochschulen besteht, bewegt sich die Bürokratie etwas langsam. Ziel ist den Antrag noch dieses Jahr bei den Hochschulleitungen einzureichen.» Wann er genau kommt, ist also noch unklar. Eindeutig ist aber, dass die Nachfrage nach psychologischer Beratung bei Studierenden steigt und die PBS damit unter grossem Druck steht, sich mit der Nachfrage weiterzuentwickeln.