Die Würmer kehren zurück!

Aus der Forschung — Eine Dissertation zeigt: Auch auf ehemals intensiv bewirtschafteten Flächen kann ein artenreiches Ökosystem entstehen.

28. Oktober 2022

Unsere Ökosysteme stehen zunehmend unter Druck. Immer mehr Flächen werden für landwirtschaftliche Zwecke genutzt oder fallen der Ausdehnung des Siedlungsraums zum Opfer. Angesichts der akuten Biodiversitätskrise ist es von zentraler Bedeutung, funktionierende Ökosysteme zu erhalten, die zunehmend aus unserer Umgebung verschwinden.Um dem Trend entgegenzuwirken, können intensiv bewirtschaftete Landwirtschaftsflächen wieder in naturnahe  Grünflächen umgewandelt werden. Dies ist jedoch kein einfaches Unterfangen, da der Boden wegen der intensiven Düngung noch viele Jahre später zu nährstoffreich für die angestrebten Pflanzenarten sein kann. Eine Methode, mit der dieses Problem gelöst werden kann, ist der sogenannte Oberbodenabtrag. Dabei werden die oberste Bodenschicht und die darin gespeicherten Nährstoffe abgetragen, so dass die gewünschten Pflanzenarten gedeihen können.

Umstrittene Bodenabträge

Den Erfolg von Bodenabträgen beurteilt Carol Resch im Rahmen ihrer Dissertation an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Dafür vergleicht sie die Artenvielfalt auf restaurierten Flächen mit jener auf intensiv bewirtschafteten Flächen und mit artenreichen Wiesen auf nährstoffarmen Böden, sogenannten Magerwiesen. Obwohl sich die Methode in der Vergangenheit bewährt hat, kommt sie bisher selten zum Einsatz.

Dies liegt unter anderem an den damit verbundenen Kosten, die sehr hoch sind. In der Schweiz ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Bodenabträge -stehen in Konflikt mit dem Bodenschutz. Die Befürchtung, dass ein Abtrag der obersten Schicht den Boden nachhaltig schädigt, ist ein zentrales Argument, das gegen diese Methode vorgebracht wird. Die wenigen bisher durchgeführten Langzeitstudien über den Erfolg von Oberboden- abträgen liessen den Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des Bodens aber weitgehend ausser Acht.

Innert kürzester Zeit zu mehr Biodiversität

Im Gegensatz zu früheren Publikationen berücksichtigen Resch und ihr Team für die neue Studie nicht nur Pflanzen, sondern auch Bodenorganismen wie Mikroben und Fadenwürmer sowie weitere Eigenschaften des Bodens. Wie aufgrund früherer Forschungsergebnisse zu erwarten war, konnte sich die erwünschte Pflanzengesellschaft bereits nach wenigen Jahren etablieren. Anders als befürchtet erholten sich auch die Bodenlebewesen sehr schnell wieder von der massiven Störung durch den Bodenabtrag. Das Forschungsprojekt zeigt: Nach achtzehn Jahren waren weder die Zusammensetzung der Pflanzenarten noch diejenige der im Boden lebenden Arten von der Zusammensetzung in den untersuchten natürlichen Flächen zu unterscheiden. Und damit nicht genug: «Mit allen Studien, die wir durchgeführt haben, konnten wir zeigen, dass der Boden langfristig durch den Eingriff nicht gestört wird, sondern dass man sogar einen funktionell aufgewerteten Boden gegenüber intensiv bewirtschafteten Flächen erhält» – auch für Resch sei dies eine positive Überraschung gewesen.

Mithilfe der Strategie des Bodenabtrags kann also auch auf intensiv bewirtschafteten Flächen innert kürzester Zeit wieder ein artenreiches Ökosystem entstehen. Der damit verbundene Aufwand und die hohen anfänglichen Kosten sind deshalb eine sinnvolle Investition, um die gesetzten Naturschutzziele zu erreichen. «Die Renaturierungs-Community ist ziemlich pragmatisch und interessiert, neue Erkenntnisse umzusetzen», meint Resch. Man darf also hoffen, dass die Forschungsergebnisse möglichst rasch in die Praxis einfliessen werden und somit bald für gute Neuigkeiten für den  Naturschutz sorgen werden.