Das Koch-Areal ist bald Geschichte: Schon ab 2023 könnten hier Genossenschaftswohnungen gebaut werden.

Ausgekocht, ausgedient?

Die Tage des Koch-Areals sind gezählt. Vom Wert autonomer Räume in Zürich.

Joel Schriber (Text) und Linn Stählin (Bild)
28. Oktober 2022

Ein Lautsprecher beschallt das Herzstück des Koch-Areals mit fetzigem Punk-Rock, vereinzelte Menschen werkeln an ihren Projekten herum. Die zwei langjährigen Bewohner Roland und Manuel empfangen uns für ein Interview in der Gemeinschaftsküche.

Seit 2013 ist das Koch-Areal besetzt und bietet einen unkommerziellen Raum für Begegnungen, das Entwickeln und Realisieren von gemeinsamen Ideen und das Ausleben von alternativen Wohnformen. Es besteht nicht nur aus seinen Bewohner*innen, sondern aus allen Personen und Gruppen, die ihre Projekte und Ideen auf dem Areal umsetzen. So gibt es zum Beispiel eine Velowerkstatt, eine Siebdruckerei, ein Kino, einen Konzert- und einen Proberaum sowie verschiedenste Bauten zum Wohnen, Entspannen oder Sporttreiben. Dazu kommen Veranstaltungen wie das kürzlich über die Bühne gegangene «Unite»-Festival.

Roland erklärt: «Man darf das Koch-Areal nicht als eine zentrale Struktur verstehen, die alles plant, es sind nämlich verschiedene Akteur*innen, die einfach machen.» Solche dezentralen Strukturen ermöglichten einer Gesellschaft die Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, Ungleichheiten und Inklusion. Verschiedene Plakate auf dem Areal weisen in diesem Sinne auf eine Nulltoleranz gegenüber Rassismus, Sexismus, Transphobie, Homophobie oder anderen Formen von diskriminierenden Haltungen hin. «Die Funktion des Koch-Areals besteht darin, die Augen für Missstände zu öffnen, anstatt konkrete politische Agenden zu formulieren», meint Roland.

Anstehende Räumung

Doch Ende 2022 soll damit Schluss sein. Die Projektleiter*innen des geplanten «Koch-Quartiers» rechnen mit einer baldigen Baufreigabe. Dann könnte man das Areal gemäss dem Merkblatt für Hausbesetzungen der Stadtpolizei räumen.

Das geplante «Koch-Quartier» besteht aus einem Gebäudekomplex mit kommerziellen Flächen und bezahlbaren Wohnungen. Das Herzstück soll der «Koch-Park» werden, eine begrünte Fläche mit der unter Denkmalschutz stehenden Kohlelagerhalle als Herzstück. Manuel sieht dieses Projekt mit 325 geplanten Genossenschaftswohnungen für über 900 Menschen als Errungenschaft der Besetzung des Koch-Areals: «Man darf nicht vergessen, dass die Besetzung des Koch-Areals überhaupt erst ermöglicht hat, dass es diese bezahlbaren Wohnräume auf dem Areal geben wird». Die UBS verkaufte das Areal nach dessen anhaltender Besetzung nämlich an die Stadt. Mit der Ablehnung einer von der FDP lancierten Volksabstimmung verhinderte die Stadtbevölkerung sodann den Weiterverkauf an Dritte, die den Wohnungsbau schnellstmöglich vorantreiben wollten. Stattdessen wurde der Gegenvorschlag, bezahlbaren Wohnraum auf dem Koch-Areal zu schaffen, angenommen.

#Alleswirdbesetzt

So wird verständlich, wieso Demonstrationen und Kampagnen derzeit nicht auf das ewige Bestehen eines besetzten Koch-Areals abzielen. Zwar würden die Besetzer*innen am liebsten auf dem Koch-Areal bleiben, doch sie konnten mit der Besetzung immerhin den sozialen Wohnungsbau ermöglichen. Nichtsdestotrotz  fordert die Kampagne #Alleswirdbesetzt – das Motto der Hausbesetzungen in den letzten Wochen, ausgelöst durch die anstehende Räumung – weiterhin die Anerkennung der Notwendigkeit von autonomen, nicht an Leistungsvereinbarungen und Verträge gebundenen Räumen.

Hausbesetzer*innen wollen auf die Problematik des Gebäudeleerstands aufmerksam machen.

Unter dem genannten Motto suchen in den letzten Wochen viele Haus-besetzer*innen die Öffentlichkeit, um auf die Problematik des Gebäudeleerstands in der Stadt aufmerksam zu machen. Diese Besetzungen seien nicht zentral organisiert, erklärt Roland. «Es wird manchmal so dargestellt, als ob das alles eine orchestrierte Kampagne oder Gruppe sei, dem ist aber nicht so», sagt er. Es seien verschiedene Gruppierungen, die sich organisierten und über diese Kampagne aufeinander beziehen würden. Diese seien jedoch schon zuvor so organisiert gewesen und würden auch ohne die Kampagne Aktionen durchführen. «Sie präsentieren sich jetzt einfach zusammen unter diesem Dach und nutzen die Kampagne als gemeinsamen Kommunikationskanal», so Roland.

Den Besetzungen nicht nur optisch ähnlich sind die städtisch geregelten Zwischennutzungen, zum Beispiel die Zentralwäscherei (ZW). Sie erfüllen ähnliche Funktionen wie das Koch-Areal. Die Stadt Zürich hat das Gebäude der ZW nach dem Wegzug der darin ansässigen Wäscherei für die Zwischennutzung freigegeben. Heute veranstalten darin verschiedene Kollektive kulturelle Anlässe in den Bereichen Gastronomie, Klub- und Konzertbetrieb. Zwischennutzungen wie die ZW sind allerdings an Leistungsaufträge und Verträge mit der Stadt gebunden. Der legale Rahmen der Politik lässt dabei nicht dieselbe Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten zu, wie es autonome Raumnutzungen tun. Gesetzliche Vorgänge wie Umzonungen oder Änderungen im Nutzungsrecht, die vielseitigere Nutzungen ermöglichen würden, dauern oft Jahre oder werden gar nicht erst zugelassen. Hausbesetzungen hingegen umgehen diese unproduktive Wartezeit.

Zwischennutzung versus Besetzung?

Obwohl Zwischennutzungen oft nicht gewinnorientiert betrieben werden, kommt es bei autonomen Räumen wie dem Koch-Areal trotzdem mal vor, dass man Gelder für bestimmte Zwecke sammelt. So werden die Einnahmen aus Veranstaltungen  unter anderem an verschiedene politische Projekte rund um die Welt ausgezahlt.  Zum Beispiel werden zurzeit Gelder für  «Food not Bombs» gesammelt – eine Organisation, die den Widerstand gegen die Militärherrschaft in Myanmar unterstützt. Manuel meint, es sei «unsere Pflicht hier in der Schweiz, das Geld an Projekte umzuverteilen, die ähnlich solidarisch sind».

Der Bewohner betont, dass Zwischennutzungen nicht in einem Spannungsverhältnis mit Besetzungen stehen würden, solange sie nicht zu deren Prävention eingesetzt würden. «Wir haben überhaupt nichts gegen Zwischennutzungen, aber wenn diese dann instrumentalisiert werden, um besetzte Häuser zu räumen oder Besetzungen gar zu verhindern, sehen wir darin ein Problem», so Manuel. Es sei angesichts der anstehenden Räumung wichtig, dass auch in Zukunft solche erkämpften Freiräume erhalten blieben. Sie sollten parallel zu Zwischennutzungen bestehen bleiben und so einen Mehrwert bieten. Und so werkeln Manuel und Roland  weiter an ihrer Vision für eine soziale Zukunft.