Reck Filmproduktion

Zwei Bahnhöfe im Porträt

Kulturspalte

21. September 2022

Dokumentarfilm — Für die meisten von uns sind Bahnhöfe Orte des Ankommens und des Weggehens. Sie sind Durchgangsorte, an denen man meist nicht länger als nötig verweilt, bevor man sich zum nächsten Ziel aufmacht. Sie können Treffpunkte sein, für viele sind sie aber vor allem Räume der kompletten Anonymität. Bahnhöfe bilden ihren eigenen kleinen Kosmos, in dem man sich verlieren und treiben lassen kann. Doch was ist mit den Leuten, die jeden Tag an denselben Bahnhof zurückkehren, um dort ihrer Arbeit nachzugehen?

Mit dieser Frage beschäftigt sich «Mahatah – Side Stories from Main Stations». Der collagenartige Dokumentarfilm des Regie-Duos Sandra Gysi und Ahmed Abdel-Mosen wirft einen Blick hinter die Kulissen des alltäglichen Bahnhoftrubels. Das schweizerisch-ägyptische Filmteam rückt mit «Mahatah» nämlich diejenigen Menschen in den Vordergrund, die für das Funktionieren eines Bahnhofs essenziell sind, jedoch oftmals vergessen werden. Über mehrere Monate drehte ein jeweils einheimisches Filmteam an den Hauptbahnhöfen in Zürich und in Kairo, und begleitete verschiedene Menschen in ihrem beruflichen Alltag. Ihr filmisches Resultat «Mahatah», das arabische Wort für Bahnhof, zeigt gelungen auf, welche Gemeinsamkeiten die zwei auf den ersten Blick unterschiedlichen Welten miteinander teilen.

Gesprochen wird in «Mahatah» nicht viel. Vielmehr schauen wir verschiedenen Menschen beinahe voyeuristisch dabei zu, wie sie Züge steuern, Schienen verstellen, Treppen reinigen, Tickets drucken, Kebabs zubereiten und für Recht und Ordnung sorgen. Nur sporadisch werden die schnellen Bildfolgen von den persönlichen Geschichten der Protagonist*innen ergänzt.

So erfahren wir beispielsweise von der Chefin der Putzequipe, wie sie morgens das Haus als Mutter verlässt und dann ihre Arbeit als Mann mit symbolisch aufgesetztem Schnurrbart startet. Oder warum der Chef der Bahnhofswäscherei froh darüber ist, nicht emigriert zu sein. Zwischen den einzelnen Kapiteln des Films werden Montagen von fahrenden Zügen eingespielt, welche die beiden Bahnhöfe visuell miteinander verbinden. Der Soundtrack des Schweizer Musikers Julian Sartorius bringt dabei den versteckten Rhythmus von typischen Bahnhofsgeräuschen sehr gelungen zur Geltung.

Man wünscht sich, mehr Zeit mit den einzelnen Protagonist*innen verbringen zu können, um mehr über ihre jeweiligen Geschichten zu erfahren. Vielleicht wäre das durch eine kleinere Auswahl an Beteiligten möglich gewesen. Andererseits spiegeln die kurzen filmischen Begegnungen die flüchtige Atmosphäre von Bahnhöfen wider.

Während zu Beginn des Films vor allem die äusserlichen Kontraste zwischen den beiden Bahnhöfen hervorgehoben werden, wird spätestens am Schluss klar, dass die beiden Welten mehr verbindet als anfangs gedacht. Die Protagonist*innen scheinen vor allem etwas gemeinsam zu haben: Der Bahnhof ist zu ihrem zweiten Zuhause geworden. Und sie alle teilen auf ihre individuelle Art und Weise eine tiefe Verbindung zu ihrem Heimatbahnhof. «Mahatah» ist ein entschleunigender Film, der existenzielle Fragen aufwirft und in seinem Tiefgang überrascht.

«Mahatah – Side Stories from Main Stations» ist ab dem 15. September im Kino zu sehen.