Ein Kaffee wird serviert, der andere spendiert. Selma Hoffmann

Einen Kaffee aussetzen

Der Verein Surprise hat die napoletanische Tradition des «caffé sospeso» aufgenommen und will damit verschiedene Gesellschaftsschichten zusammenbringen.

21. September 2022

Seit mehr als 100 Jahren existiert in Neapel der «Caffé Sospeso»: dem Brauch in einem Café statt einem, gleich zwei Kaffees zu zahlen. Getrunken wird aber nur einer, der zweite wird gespendet. Somit kann jemand, der sich keinen Kaffee leisten kann, dennoch in dessen  Genuss kommen. In einer Stadt wie Neapel, in der selten auf die Regierung gezählt werden konnte, zeugt der «Caffé Sospeso» nicht nur von Nächstenliebe, sondern von Unterstützung für Menschen, die der Staat vernachlässigt.  Der gespendete Kaffee setzt ein Zeichen für den Zusammenhalt.

Das Café als Vermittler und Schauplatz

Dieser Überzeugung war auch der Schweizer Verein Surprise bei der Lancierung des «Café Surprise» in der Schweiz. Dessen Leiter Andreas Jahn erklärt, worum es ihm bei der Einführung der italienischen Tradition ging: «Der Aspekt der finanziellen Unterstützung spielt eine Rolle, aber die Motivation ist vor allem die Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe», so Jahn. Cafés seien Orte, an denen man sich austauschen, gemeinsam Zeit verbringen oder auch einfach nur einander wahrnehmen könne. Sie würden das Gefühl von unspezifischer Zugehörigkeit vermitteln. «In den meisten muss man jedoch eine Eintrittskarte haben – einen Eintrittskaffee zahlen – denn es herrscht Konsumzwang. Der Café Surprise hilft in Zusammenarbeit mit Gastronomiebetrieben, die Lücke zwischen den Menschen mit und solchen ohne Eintrittskarte zu schliessen», so Jahn. Surprise leistet seit 2014 die nötige Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit, um dieses soziale Projekt in Cafés und bei den Menschen bekannt zu machen. Sie erwähnen es in jeder Ausgabe ihres Magazins «Surprise», werben auf Stadtrundgängen für die beteiligten Cafés und nutzen ihr Netzwerk, um potentielle Kaffeetrinker*innen über dieses Angebot zu informieren. Ausserdem wird den beteiligten Cafés eine Tafel zur Verfügung gestellt, um darauf die spendierten Kaffees zu vermerken. Das Prinzip des Caffé sospeso basiert auf der Solidarität und Unterstützung zwischen Besucher*innen, es braucht das Café selbst nur als Vermittler und Schauplatz. Somit ist der Aufwand minimal und hindert es nicht an der Umsetzung seiner wirtschaftlichen Ziele.

Vorurteile und Barrieren abbauen

Umfragen zeigen, dass pro Monat und Gastronomiebetrieb etwa zehn Cafés Surprises über die Theke gehen. In der ganzen Schweiz sind 108 Betriebe am Projekt beteiligt, davon sind zwölf in Zürich. Meist sind es kleinere, alternative Betriebe wie das Café Freud, das KUMO6, der Quartiertreff Enge oder das Zähringer. Mittlerweile melden sich jährlich 10 bis 30 am Projekt interessierte Cafés. Es müsste aber noch einiges getan werden, erklärt Jahn: «Vielfach gibt es noch eine Hemmschwelle, mit armutsbetroffenen und sozial benachteiligten Personen in Kontakt zu treten, da das Vorurteil herrscht, dass diese sich auffällig verhalten und andere Gäste abschreckten». Dabei sei Armut in der Schweiz meist unsichtbar und betroffene Personen hätten einfach das Bedürfnis, am sozialen Leben teilzunehmen. Das Ziel von Café Surprise ist es auch, dabei zu helfen, solche Vorurteile und Barrieren abzubauen. «Die Bemühungen werden von vielen Menschen sehr geschätzt», meint der langjährige Surprise-Magazin-Verkäufer Hans Rhyner. Auch für ihn ist es wichtig, den Café Surprise wenn immer möglich zu unterstützen, im Wissen, dass er in schwierigen Zeiten auf das Projekt und die daran beteiligten Menschen zählen kann.