Zwei Wochen lang besetzten Studierende den grössten Hörsaal der Uni Zürich. Walter Bieri/Keystone

Als Studis die Uni besetzten

2009 wurde heftig gegen Bologna protestiert. Was war da los?

21. September 2022

Auf Transparenten stand fett geschrieben: «Uni für Alle» und «Kein Markt für ECTS». Die Banner wurden 2009 von Studierenden durch die Stadt getragen und hingen in der Uni Zürich. Wiederholt wurde damals gegen die Bologna-Reform und gegen die Ökonomisierung des Studiums protestiert. Schlagzeilen machte besonders die zweiwöchige Besetzung des «Gummibärlisaals», dem grössten Vorlesungssaals der Uni. Ein derartiges Aufbäumen gegen die Reform hat es seitdem nicht mehr gegeben. Wie kam es zu diesem Akt der Rebellion und was geschah danach?

Zürich war kein Einzelfall

Von Österreich bis nach Deutschland, Italien und in die Schweiz: Eine Reihe europäischer Länder wurden damals von einer Welle von Bildungsprotesten erfasst, über 50 Unis wurden besetzt. Die Bologna- Reform war dabei das grosse Schlagwort, doch es ging um mehr. «Vor der Hörsaalbesetzung ist die Bewegung ‹Uni von unten› entstanden, die abseits vom Studierendenrat linke Politik machte», erzählt der ehemalige Student Fabio, der bei den Protesten dabei war. Die Gruppe störte vor der Besetzung verschiedene Anlässe des Schweizerischen Instituts für Auslandsforschung (SIAF) an der Uni Zürich, an denen neoliberale und neokonservative Redner*innen auftraten.

Am 17. November wurde dann im Rahmen einer internationalen Aktionswoche unter dem Motto «Our Education is not for Sale» eine Kundgebung durch «Uni von unten» organisiert, mit anschliessender Diskussion im grössten Saal der Hochschule. «Dort hat sich dann irgendwann gezeigt: Wir besetzen diesen Saal und zwar noch heute!», so Fabio. Mit dabei war auch der Regisseur Christian Labhart, der den historischen Moment filmisch begleitete. In den Aufnahmen ist zu sehen, wie man dort schlief und kochte. Rund 500 Studierende waren zu Beginn vor Ort. Was von der Uni gefordert werden sollte, musste zuerst im Plenum ausdiskutiert werden. «Dort wurde Demokratie wirklich gelebt. Mich hat das sehr beeindruckt», so Ugi*, der auch im Saal war. Man sprach über die Verschulung der Uni, über die Modularisierung und Ökonomisierung des Studiums, erhöhte Studiengebühren, «Bulimielernen» und den Unterschied von Bildung und Ausbildung. «Bologna war bestimmt für viele eine Projektionsfläche. Das wurde aber auch innerhalb der Bewegung thematisiert», sagt Ugi.

«Die Uni war zu keinen Konzessionen bereit»

Nach zwei Wochen im Saal entschied sich die neugetaufte Initiative «Unsere Uni», ein Angebot des Rektors anzunehmen und in den HIM-Pavillon zu zügeln, gleich unter der Polyterrasse. Von dort aus wurden Demos veranstaltet und ein Forderungskatalog an die Uni ausgearbeitet. Unter anderem forderten die Studierenden mehr Geld für Bildung, einen Ausbau des Stipendienwesens, die Abschaffung von Präsenzkontrollen und die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums in allen Studiengängen. «Die Uni war zu gar keinen Konzessionen bereit. Das Versprechen auf ein Gespräch war reine Politik, um uns zu vertreiben», erzählt Fabio. In einer Nacht- und Nebelaktion hat die Uni am 21. Januar die Schlösser zum Pavillon ausgewechselt. Am Morgen danach stand Sicherheitspersonal vor dem Gebäude, wie im Film von Labhart zu sehen ist. Der Raum war weg, bei vielen auch die Motivation. Danach hätte einfach der Boden gefehlt, um gleich weiterzumachen, so Fabio.

Die Anliegen der Bewegung sind in den darauffolgenden Jahren trotzdem an den linken Hochschultagen – einem Produkt der Protestwelle – thematisiert worden.  Daraus entstand 2016 «Die lange Nacht der Kritik», die noch heute besteht. Bezüglich der Teilnehmendenzahl war die Hörsaalbesetzung 2009 die grösste Protestaktion an der Uni Zürich. Die letzte Besetzung der Hochschule fand 2019 statt. Verantwortlich dafür waren Frauen der Fraktion «Kritische Politik», wobei diese Aktion im Zusammenhang mit dem internationalen Frauentag stand. Fabio heisst Handlungen wie diese gut und begründet:«Solche Räume sind physische Räume, doch sie sind auch Räume für den Geist.»

*Name der Redaktion bekannt