Mit Kreide gegen Sexismus
«Catcalls of Zurich» dokumentiert auf Instagram sexuelle Übergriffe.
«Geile Arsch. Derfi mal ahlange?» Wer nachts in Zürich unterwegs ist, hat bestimmt schon mal erlebt, wie jemandem ein solcher Spruch hinterhergerufen wurde oder war selber davon betroffen. Catcalls sind unangemessene Sprüche, oft sexueller Natur, welche von einer fremden Person im öffentlichen Raum geäussert werden. Dies ist eine Form von sexueller Belästigung. Der Instagram-Account «Catcalls of Zurich» macht diese sichtbar, indem die Sprüche mit Kreide am Ort des Geschehens festgehalten und online veröffentlicht werden. Der Ursprung der Aktion liegt bei der Organisation «chalkback», welche 2016 in den Vereinigten Staaten gegründet wurde.
Mehr als nur ein Instagram-Account
Der Account wird momentan hauptsächlich von Merle und Lea betreut. Sie tun dies freiwillig und unbezahlt. Der Account besteht bereits seit September 2019, wobei sich die Verantwortlichen immer wieder geändert haben. Er inspirierte auch die Stadtregierung. Im Rahmen der Kampagne «Zürich schaut hin» wurde im Mai des vergangenen Jahres ein anonymes Meldetool errichtet. Dabei wurden die Betreiberinnen von Catcalls of Zurich aktiv in die Erstellung des Tools einbezogen. Dennoch bleibe der Account Catcalls of Zurich weiterhin essenziell. «Die Stadt macht grösstenteils Symptombekämpfung. Sie versucht zwar, die Orte, an denen viele Belästigungen gemeldet werden, sicherer zu machen. Aber die Ursache dafür, nämlich der Nährboden für Catcalls in unserer Gesellschaft, wird damit nicht vollständig behoben», so Merle. Sie betont: «Es ist wichtig, den Menschen bewusst zu machen, wie sich andere im öffentlichen Raum fühlen. So wird klar, dass zum Beispiel der Heimweg eben nicht für alle gleich aussieht.»
Dem städtischen Meldetool sind seit Mai 2021 über 1’000 Belästigungen gemeldet worden. Beim Instagram-Account gehen durchschnittlich 10 Meldungen pro Woche ein. Auch die polizeilichen Anzeigen mit Straftatbestand «Sexuelle Belästigung» haben in den letzten Jahren zugenommen. Doch nicht alle Formen von sexueller und sexistischer Belästigung sind im Straftatbestand miteinbezogen. «Das tatsächliche Ausmass von Belästigungen und Übergriffen lässt sich anhand von Befragungen erfassen. Die städtischen Bevölkerungsbefragungen von 2019 und 2021 haben gezeigt: 10 Prozent wurden im Verlauf des vergangenen Jahres einmal ausser Haus belästigt, 6 Prozent gar mehrfach», so Katharina Weber, Sprecherin des Präsidialdepartements.
Jede Meldung wird ernst genommen
Das Thema Belästigung wird oft als Sache der Auffassung abgestempelt. Merle hat dazu eine klare Meinung: «Ein Flirt ist etwas, was beide Seiten wollen. Sexuelle Belästigung ist von einer Seite unerwünscht. Die Grenze ist genau dort, wo es für die eine Person unangenehm wird, und das kann auch schon ein Blick oder ein Pfiff sein.» Auch sieht sie die häufigen Schuldzuweisungen an Betroffene als grosses Problem an. Dies will der Instagram-Account mit dem Spruch «Wenn du dich belästigt fühlst, dann ist es auch Belästigung» bekämpfen. «Dies soll den Betroffenen zeigen, dass ihre Gefühle okay sind und Übergriffe nicht toleriert werden», meint Merle. Die Vermeidung von Catcalls liege zwar nicht im Wirkungsrahmen des Accounts, doch sollen die Kreidebotschaften Solidarität und Unterstützung für Betroffene bieten und Aufmerksamkeit für den Missstand schaffen. Jede Nachricht wird entgegengenommen, «denn das Schlimmste, was einer betroffenen Person geschehen kann, ist es, wieder einmal in die Leere zu sprechen».