Die Zentralwäscherei in Zürich-West bietet ein breites Programm und setzt auf Diversität. Diego Bolliger

«Filippo Leutenegger kann gerne bei uns abendessen»

Seit 2019 wird die alte Zentralwäscherei zwischengenutzt. Dahinter steckt ein basisdemokratisch organisierter Verein mit Awareness-Konzept.

8. Mai 2022

Der Bass dröhnt durch den Betonblock. Im rötlich schimmernden Gang tummeln sich junge Menschen, Vokuhilas und schnelle Brillen. Es ist eine Klubnacht in der Zentralwäscherei – dem Raum, in den zurzeit viele Ausgänger*innen strömen. Es lebt und wuselt um mich herum, als ich durch den Zigarettenrauch das Fumoir betrete. Aus dem Beschallungsraum wummern Technobeats – «richtig hässig». Wir tanzen bis in die frühen Morgenstunden hinein.

Ein junger Verein legt los

An einem sonnigen Montag kehre ich an die Neue Hard 12 zurück. Die Wand des Fumoirs ist aufgeklappt – ein paar Leute geniessen die Sonne. Ich treffe auf Dominic, Yan und Philipp, drei Mitglieder des Vereins Zentralwäscherei. Sie zeigen mir, welche Räume der Verein nutzt: den Beschallungsraum für Raves, dahinter eine Mehrzweckhalle und die Bar, Kleinwäscherei genannt. Schliesslich gibt es einen Aussenbereich, der für den Sommer umgestaltet werden soll.

«Die Gestaltung dieses Ortes ist ein laufender Prozess. Wir machen auf lange Sicht keine fixen Pläne, um offen für neue Ideen zu sein», sagt Dominic, als wir uns fürs Interview setzen. Das gelte auch für den Verein Zentralwäscherei: Dieser ist basisdemokratisch organisiert, um starre Machtstrukturen und monotone Planung zu vermeiden. Die circa 250 Vereinsmitglieder sind in rund zwanzig Arbeitsgruppen unterteilt, die für verschiedene Bereiche wie etwa Gastronomie, Programm oder Kommunikation zuständig sind. Die Arbeit ist ehrenamtlich. Daneben gibt es sieben Betriebsteams, welche die Ideen der AGs umsetzen. Wichtige Entscheide müssen von der monatlichen Vollversammlung abgesegnet werden. «In einer solchen Organisationsstruktur fällt es manchmal schwer, schnell zu kommunizieren und zu entscheiden», bemerkt Dominic. Um diesem Mangel entgegenzuwirken, delegiere die Vollversammlung gewisse Entscheidungen an die Arbeitsgruppen.

Von Mittagsküche bis Klubnacht

Wie kam der Verein hierher? Via die Raumbörse, eine gemeinnützige Raumvermittlungs-Organisation der Stadt Zürich, erklärt Philipp vom Vorstand. Noch bis 2019 wurde in dem Gebäude Wäsche für Spitäler und Heime gewaschen. Als die Wäscherei dann nach Regensdorf zog, wurde das Gebäude für eine Zwischennutzung freigegeben. Der städtische Auftrag lautete: einen nicht kommerziellen Kulturort für junge Erwachsene ins Leben rufen. «Entscheidend für die Vergabe an uns war wohl der Fakt, dass unser Verein ein Zusammenschluss aus einer Vielzahl von Kollektiven ist», mutmasst Philipp. Darunter zum Beispiel Nextzürich, Extra-leben und Les Points. So war von Beginn an klar, dass der Verein darum bemüht ist, verschiedensten Gruppen Raum zu geben.

Diese Diversität soll sich in den Projekten und Events der Zentralwäscherei widerspiegeln: Von Performance-Kunst über Klubnächte bis hin zu Strick-Kursen ist für fast alle etwas da. «In etwa fix ist nur das Wochenendprogramm: Donnerstag Streambar, Freitag Konzertabend, Samstag Klubnacht», meldet sich Yan, Mitglied des Betriebsteams Programm, zu Wort. In der Kleinwäscherei gibt es zudem von Dienstag bis Freitag eine Mittagsküche. Ansonsten ist das Programm offen und jede Woche anders. Die Angebote finanzieren sich gegenseitig: Der Gewinn durch Gastronomie und Raves ermöglicht Projekte wie Kunst-Performances, die ein kleineres Publikum anziehen.

«Wir wollen besonders denjenigen Menschen eine Plattform bieten, die sonst aus gesellschaftlichen oder finanziellen Gründen wenig zu Wort kommen», sagt Yan. Zum Beispiel ethnische Minoritäten, Menschen aus der LGBTQIA+-Community und junge Künstler*innen. Yan würde es beispielsweise gefallen, ein tibetisches Festival zu organisieren. Auch politische Organisationen können sich bewerben, um den Raum für Plena zu nutzen. Grundsätzlich ist jede Art von Kollektiv willkommen, sich mit einem Projekt im Open Call zu bewerben.

Doch hat auch jedes Projekt Chancen, angenommen zu werden? «Wir haben nicht die Maxime, nur Projekte anzunehmen, die im politischen Spektrum links zu verorten sind», antwortet Philipp auf die Frage. Über die Annahme eines Projektes entscheide der Verein demokratisch. Jedoch seien viele Mitglieder in linken Organisationen aktiv, was sich in den Abstimmungen auch zeige. «Filippo Leutenegger kann gerne bei uns abend essen», meint Philipp lächelnd, «bürgerliche Projekte haben aber einen schweren Stand.»

«Wir haben nicht die Maxime, nur linke Projekte anzunehmen»
Philipp vom Vorstand des Vereins Zentralwäscherei

Herzstück Awareness-Konzept

Ein zentrales Anliegen des Vereins ZW ist die Aufweichung der Grenze zwischen Konsument*innen und Konsumort. Lässt man das Wirken des Vereins beiseite, sollen es die Besucher*innen sein, die den Ort gestalten – wenn nicht durch Projekte, dann durch die Stimmung, die sie mitbringen. Hier spielt ein Herzstück des Vereins die entscheidende Rolle: das Awareness-Konzept. Auf einem grünen Blatt werden die Verhaltensregeln diktiert: zum Beispiel dass vorschnelle Annahmen über den kulturellen Hintergrund des Gegenübers zu vermeiden sind, dass Berührungen nur mit Zustimmung geschehen oder dass man sich immermit Namen und Pronomen vorstellen sollte. Regeln auf Papier anzuschlagen, ist in linken Bars und Clubs schon lange üblich. Was macht die Zentralwäscherei anders? «Es reicht nicht, einfach einen Zettel aufzuhängen», sagt Dominic, «Awareness braucht Effort.» Am Eingang der Zentralwäscherei weisen deshalb die Türsteher*innen die Besucher*innen auf die Regeln hin. Rein kommt nur, wer versichert, sie zu beachten. Kommt es im Innern zu Konflikten oder Übergriffen, sind Mitglieder des Awareness-Teams jederzeit ansprechbar. Zudem gibt es einen Raum, wohin sich Leute, denen es schlecht geht, zurückziehen können. «Die ZW soll ein Safer Space sein, wo sich Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, kulturellen Hintergrund oder Alter wohlfühlen», sagt Yan dazu.

An der Tür so direkt angesprochen zu werden, stösst bei manchen Besucher*innen auf Argwohn. «Es fällt auf, dass sich besonders Menschen am Awareness-Konzept stossen, die schon grosse gesellschaftliche Privilegien besitzen», erzählt Dominic. Weisse cis-Männer zum Beispiel. Diese Leute seien es nicht gewohnt, ihr Verhalten einem Ort entsprechend anzupassen. «Dabei geht vergessen, dass das für viele Menschen, zum Beispiel People of Colour, Alltag ist: sich anzupassen, um Konflikte zu vermeiden», ergänzt Yan. Die politisch gefärbten Regeln führen natürlich zu einer Selektion im Publikum: «Wenn jemand irritiert davon ist, über Pronomen zu sprechen, wird diese Person wohl seltener in die ZW kommen», meint Philipp nüchtern.

Die Dauer der Zwischennutzung beläuft sich auf fünf Jahre. Danach sollen auf dem Areal Wohnungen und ein Schwimmbad entstehen. Wird der Verein überdauern? «Ja», glaubt Philipp, «die ZW soll sich in den nächsten Jahren so etablieren, dass sie nicht mehr wegzudenken ist.» Auch wachsen will der Verein: Für die Weiterentwicklung sind ständig neue Leute gesucht. Interessierte können jeweils am 22. des Monats am «Wöschtag», dem Anlass für Neumitglieder, vorbeischauen. Dominic beschliesst das Interview mit den Worten: «Es gibt viel zu tun!»