Die Informationsflut zum Krieg in den Sozialen Medien kann für manche überfordernd sein. Judith Ebnöther

Wie umgehen mit der Kriegsangst? Ein Workshop-Bericht

Krisensituationen wie der Ukraine-Krieg können auch bei Menschen, die nicht direkt vom Konflikt betroffen sind, Angst auslösen. Bis zu einem gewissen Grad ist das gut – ein Krieg soll zu angemessenen Reaktionen führen. Doch lähmende Angst kann kontraproduktiv sein. Die Psychologin Anna Miller hat in ihrem Workshop über den Umgang mit Kriegsinformationen in den Sozialen Medien gesprochen.

5. April 2022

Krieg in der Ukraine. Scroll. Heute gab es in Kiew erneut x Tote. Wechsel in die sozialen Medien. Kommt und helft mit. Bilder des Schreckens. Share. Es ist Demo heute. Video aus dem Bunker. Push-Nachricht. Putin plant anscheinend einen Raketenangriff. Scroll. Krieg in der Ukraine.

So ähnlich fühlt sich momentan die Benutzung des Smartphones an. Ständig Neuigkeiten, schlimme Bilder, schreckliche Schicksale. Dies hat Einfluss auf die mentale Gesundheit. Nach zwei Jahren Pandemie ist die Psyche vieler Menschen bereits angeschlagen, die erneute Krise löst bei vielen zusätzliche Angst aus. Durch die Sozialen Medien fühlt sich der Konflikt besonders nahe an.

Diesen Themen ging die Journalistin und Psychologin Anna Miller in einem kostenlosen Workshop nach. Die selbsternannte «Mental Health Aktivistin» ist Gründerin des Startups «Digital Balance Lab» und Autorin von zahlreichen Artikeln, Essays und Sachbüchern. Ziel des Workshops war es, den Teilnehmenden psychologische Mechanismen zu erklären und Tipps für einen achtsamen Umgang mit Social Media und Newsportalen in Kriegszeiten zu geben.

Negativspirale

In der Schweiz leben wir in einer privilegierten, sicheren Situation. Sollten wir uns nicht eher um die Menschen in akuter Not kümmern? Auch das spricht Miller in ihrem Workshop an. Obwohl wir nicht direkt am Konflikt beteiligt seien, sei die Angst, die wir empfinden echt und solle ernst genommen werden. Denn wenn diese nicht abgebaut würden, könne sie einen lähmen, bis man gar niemandem mehr helfen könne.

Miller erklärt, dass ein Krieg oftmals ein Gefühl von Machtlosigkeit und Kontrollverlust auslöst. Um diesem entgegenzuwirken, konsumieren viele obsessiv News und Informationen zum Thema, um wieder ein Gefühl der Kontrolle zu bekommen. Jedoch ist es nie möglich, alle Informationen zu haben.

Soziale Netzwerke, aber auch gratis News-Outlets steigern ihren Umsatz proportional zu einer erhöhten Nutzungsdauer und den Klickzahlen der Benutzenden. Ihre Artikel und Algorithmen sind deshalb speziell darauf ausgelegt, die Nutzenden online zu halten. Es ist erwiesen, dass besonders schockierende Bilder und News lukrativer sind. Gerade diese krassen Inhalte verstärken bei einem Überkonsum aber die Angst und es kann sich Panik entwickeln, erklärt Miller. Dies wird schnell zur negativen Spirale und kann insbesondere bei schon psychisch angeschlagenen Menschen ernsthafte gesundheitliche Folgen haben.

Tipps zum Umgang

Im Workshop wurden deshalb einige Tipps für den Alltag gegeben, welche helfen sollen, mit dem Kontrollverlust und der Angst umzugehen und so die Negativspirale zu durchbrechen. «Durch reine Willenskraft ist es oft nicht möglich, von den News loszukommen, weil die zugrundeliegende Angst und der Stress überwiegen», so Miller. In akuten Gefahrensituationen kann dieser Mechanismus überlebenswichtig sein. Als langfristige Begleiterin sei die Angst aber in erster Linie belastend für die Psyche.

Deshalb müsse diese aktiv angegangen werden. Dabei kann Verschiedenes helfen, zum Beispiel Achtsamkeitsübungen, Meditation, Sport oder aber auch einfach Ablenkung. Wenn das Angstlevel erst einmal etwas reduziert ist, sollte man ausserdem aktiv versuchen, sein Online-Verhalten anzupassen. Miller empfiehlt eine bewusstere Nutzung der Sozialen Medien. Zur Informationsbeschaffung könne es helfen, auf seriöse Nachrichtenportale umzusteigen, deren Finanzierung nicht nur von der Nutzungsdauer abhängig ist.

Die sozialen Medien haben – auch für nicht direkt am Krieg beteiligte Länder – nicht nur negative Effekte. So können sich zum Beispiel freiwillige Helfende schnell organisieren und die Mobilisierung für Friedensdemos wird vereinfacht. Doch wer vor Angst gelähmt ist und keinen gesunden Umgang mit den Kriegsnews findet, wird wohl kaum Energie haben, um aktiv zu werden.

Der Workshop wurde aufgezeichnet und kann auf dem Instagramkanal des Digital Balance Labs in voller Länge nachgeschaut werden.

Falls du dich momentan in einer psychischen Notlage befinden solltest, sprich unbedingt mit jemandem in deinem Umfeld darüber. Die UZH bietet ausserdem kostenlose psychologische Beratung an.