Am Asien-Orient-Institut sorgt eine Privatdozentin wiederholt für Aufruhr. Sumanie Gächter

NS-Vergleiche und skurrile Tweets

Eine Dozentin soll sich im Seminar kontrovers zur Corona-Politik geäussert haben. Auf Twitter spricht sie von «Cancel Culture».

4. April 2022

«Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.» Dieses Bertolt-Brecht-Zitat schreibt Privatdozentin Dr. Elena Louisa Lange am ersten Tag des vergangenen Herbstsemesters an die Wandtafel des Seminarraums. Über das Seminar sind mehrere Beschwerden bei der ZS eingegangen. Es ist bereits das dritte Corona-Semester an der Uni, aber das erste mit Zertifikatspflicht. Darüber regte sich Lange lautstark auf, erinnern sich mehrere Studierende, die das Seminar «Kultur – Identität – Klasse» am Asien-Orient-Institut (AOI) besuchten. Die Äusserungen von Frau Lange spitzten sich zu. Ein*e Student*in hält direkt nach der Stunde schriftlich fest: «Vergleicht die Einschränkung der individuellen Freiheiten durch Corona-Massnahmen mit der totalitären Entwicklung in NS-Deutschland.» Drei andere Studierende bestätigen dies unabhängig voneinander.

«Ich fordere Nürnberger Prozesse»

Solche Äusserungen beschränkten sich angeblich nicht nur auf die erste Lektion. Lange habe im Verlauf des Semesters wiederholt ähnliche Vergleiche zwischen dem Corona-Regime und dem historischen Nationalsozialismus gezogen. Besonders im November vor der Abstimmung über das Covid-Gesetz sei Langes Meinung zur Corona-Politik häufig Thema des Seminars gewesen. Eine Studentin erinnert sich: «Manchmal ging es für beträchtliche Teile der Stunde um Kritik an den Massnahmen.» Dabei tolerierte sie angeblich keinerlei Kritik an ihrer Position. Auf Anfrage nimmt Frau Lange schriftlich Stellung. Dass sie die Massnahmenpolitik in der Schweiz mit den Geschehnissen im Nationalsozialismus verglichen haben soll, sei inkorrekt. Sie führt ihre Sicht aus: «Richtig wäre es zu sagen, und hier beziehe ich mich auf die jüdische Philosophin Hannah Arendt und den Journalisten Henryk M. Broder, dass auch Auschwitz nicht über Nacht passierte, man aber – wie es seit 1945 aus allen progressiven und liberalen Feuilletons schallt – den ‹Anfängen wehren› sollte, wenn aufgrund von Kriterien wie einem willkürlich bestimmten Gesundheitsstatus (oder aus welchen Gründen auch immer) Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen und ihnen die Freiheits- und Grundrechte entzogen werden.» Mit dem Aufkommen der Corona-Politik hätten die Liberalen und Linken offensichtlich ihre eigene Rede vergessen. Denn genau diese Situation «einer beispiellosen Diskriminierung» finde sich weltweit. Sie betont: «Zu keinem Zeitpunkt habe ich den Schweizer Staat als solchen thematisiert oder gar mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt, sondern die globale Form einer neuen biopolitisch charakterisierten Diskriminierung kritisiert.»

Aufgefallen ist Elena Lange auch auf Twitter. Sie ist auf der Plattform privat sehr aktiv. Unter dem Twitternamen «Sensible Captain» retweetete sie Ende Dezember ein Bild mit einem Mann, der ein Schild hochhält, auf dem steht: «Ich fordere Nürnberger Prozesse». Lange schreibt dazu: «I second that». In einem anderen Tweet Ende Januar empfiehlt sie «Sløborn», eine Serie über ein tödliches Virus. Sie kommentiert, die Serie handle von Covid, «if COVID were real». Lange will sich zu den Tweets nicht äussern, denn «dies würde eine Vermischung meiner privaten Äusserungen mit meiner Tätigkeit an der UZH begrüssen». Elena Lange teilt die offiziellen Einschätzungen zur Coronapandemie offensichtlich nicht. Und ihren Unmut machte sie nicht nur auf Twitter kund, sondern auch an der Uni Zürich in ihrer Funktion als Dozierende. Wie geht die Uni damit um, wenn sich Dozierende in den Seminaren oder privat auf Twitter so umstritten äussern?

Nicht die erste verbale Entgleisung

Die Uni begrüsse es grundsätzlich, wenn sich Dozierende in der Öffentlichkeit als Expert*innen zu ihren Fachgebieten äussern, schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Aber: «Äussern sie sich öffentlich als Privatpersonen, ist nicht immer eindeutig, dass dies ihre private Meinung ist.» Die angesprochenen Tweets bezeichnet die Uni als persönliche Meinungsäusserungen, welche die Uni zwar nicht beträfen, die sie jedoch «in keinster Weise» teile. Bezüglich der kritischen Äusserungen zur Corona-Politik im Seminar heisst es: «Mitarbeitende können die Massnahmen kritisieren, aber sie müssen sich daran halten.» Von möglichen NS-Vergleichen wussten weder die Universität noch das AOI Bescheid, wie die Medienstelle der Uni mitteilt. Die Uni würde nun das Gespräch mit der Dozentin suchen, um «die Faktenlage zu klären». Zu NS-Vergleichen hat die Uni eine klare Haltung: «Derartige Gleichsetzungen sind haltlos und die Universität Zürich distanziert sich davon in aller Form, unabhängig davon, ob sich Frau Lange im Seminar so geäussert hat.»

Offenbar ist es nicht das erste Mal, dass Lange aneckt: «Im letzten Jahr wurden Mitglieder der Institutsleitung zweimal bezüglich Äusserungen von Frau Lange in den sozialen Medien kontaktiert, die sich auf verbale Streitigkeiten bezüglich der Pandemiemassnahmen bezogen, bei denen es auf beiden Seiten zu verbalen Entgleisungen gekommen war», schreibt die Medienstelle. Die Uni wies Lange darauf hin, dass ihre Zugehörigkeit zur Universität leicht ermittelbar sei. «Sie wurde gebeten, darauf zu achten, dass ihre öffentlichen Äusserungen abseits wissenschaftlicher Publikationen und Vorträge nicht der Universität zugerechnet werden.» Zwar steht auf Langes Twitter-Profil nicht ihr echter Name und auch nichts von einer Tätigkeit bei der Uni Zürich. In der Bio verlinkt sie aber zu ihrem privaten Blog, auf dem sie ihre Tätigkeit als Dozentin an der Universität Zürich preisgibt*. Seit dem 18. März ist ihr Twitter-Profil auf privat gestellt. *Korrigendum: Der Artikel ist in der Printausgabe der ZS 2/22 vom 1. April 2022 erschienen. Spätestens seit dem 31. März (nach Redaktionsschluss) steht auf dem Blog von Frau Lange unter «about» nichts mehr von ihrer Tätigkeit an der Uni Zürich. Die Inhalte einzelner Blogbeiträge lassen aber weiterhin auf eine Anstellung an der Uni schliessen.