Am Podium wurde engagiert über eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum diskutiert. zVg

Kosmopolitics: Der Weg zum Postwachstum

Das Denknetz hat zu einem Podium eingeladen.

1. März 2022

Die Zuspitzung der Klimakrise und die Coronapandemie haben uns die Fragilität unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems vor Augen geführt. Während erste natürliche Ressourcen bereits erschöpft sind, schreitet die globale Erwärmung weiter voran. Gleichzeitig hat die Coronakrise gezeigt, dass mehr Eingriffe durch den Staat und ein grundlegender Wandel durchaus möglich sind. Der ideale Zeitpunkt also, um die Postwachstumsdebatte weiter voranzutreiben. Diese übt Kritik am gesellschaftlichen Status quo und verfolgt die Vision einer ökologischen, sozial gerechten und nachhaltigen Gesellschaftsform. Sie ist auch das Thema des neuen Jahrbuchs des linken Thinktanks Denknetz. Dieses hat im Rahmen der Politik-Reihe des KOSMOS zu einer Podiumsdiskussion mit einigen der Co-Autor*innen eingeladen.

Einer davon war der Soziologe Klaus Dörre. Er sprach von einer «ökologisch-ökonomischen Zangenkrise»: Erzeugen wir Wirtschaftswachstum, führe das zu weiterem CO2-Ausstoss und zum Aufschaukeln globaler, ökologischer Gefahren. Bleibe das wirtschaftliche Wachstum aus, führe dies jedoch zu einer sozialen Katastrophe. «Wir können nicht auf die natürlichen Grenzen des Wachstums warten», betonte die Umweltökonomin Irmi Seidl. Denn unser ökonomisches und politisches System suche immer weiteres Wachstum und fördere somit die Plünderung der Ressourcen. Hans Hartmann von der Unia betonte, wie eng das Funktionieren unserer Gesellschaft mit dem herrschenden Wachstumsmodell verknüpft sei. Es sei nicht klar, wie man bei ausbleibendem Wachstum ein annehmbares soziales Gleichgewicht halten könne. Das Neudenken der Arbeit sei deshalb einer der wichtigsten Bestandteile der Postwachstumsstrategie. Als mögliche Lösungen wurden eine staatliche Jobgarantie, die Aufwertung unbezahlter Sorgearbeit und flexiblere Modelle der Weiterbildung diskutiert.

Plädoyer für partizipativen Sozialismus

Trotz unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunkte und teilweise divergierenden Meinungen waren sich die Podiumsgäste in einem Punkt einig: Zur Umsetzung sozioökonomischer Transformation benötige es ein Transformations-Ministerium. «Diese grosse Aufgabe kann man nicht einfach so Zufällen überlassen und sie erfordert Planung», so Seidl. Das neue Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Deutschland sahen die Teilnehmenden der Gesprächsrunde indes als möglichen Vorläufer dafür. Doch Dörre brachte an, dass die Reformen von oben durch die soziale Bewegung von unten her erzwungen werden müssten. «Es gibt Bereiche, wo wir ganz klar einen Bruch brauchen», fuhr er fort und plädierte für die Annäherung an einen partizipativen Sozialismus. Es brauche den Einfluss der Zivilgesellschaften auf die Investitionsentscheidungen, Teilhabe auf der individuellen Ebene und eine Umverteilung innerhalb der Gesellschaft. Hier entscheide sich, ob wir aus der «Zangenkrise» herauskämen oder nicht.

Die Vielfalt der angesprochenen Aspekte und die Tiefe, in der Themen diskutiert wurden, überzeugten an diesem Abend. Ob es reicht, um eine Mehrheit von der Postwachstumsgesellschaft zu überzeugen, ist jedoch fraglich. Es wäre ein radikaler Wandel nötig, gerade jetzt, wo wir wieder langsam zu einer langersehnter Normalität zurückkehren. Nicht zu Unrecht meinte einst der Kulturwissenschaftler Mark Fischer, es sei einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.