Sumanie Gächter

Ausbeutung an der Uni

Die Petition Academia fordert seit 2021 bessere Arbeitsbedingungen für den Mittelbau. Was konnte sie bewegen?

28. Februar 2022

Mit dem Hashtag «IchBinHanna» kritisierten Akademiker*innen in Deutschland letztes Jahr die prekären Arbeitsbedingungen an den Universitäten. Die Situation von Assistierenden, Doktorierenden und Postdocs wurden dadurch einer breiten Öffentlichkeit aufgezeigt. Auch in der Schweiz macht der akademische Mittelbau vermehrt auf Probleme im universitären System aufmerksam. Die schweizweit lancierte Petition Academia fordert für die Verbesserung der Forschungs-, Lehr- und Arbeitsbedingungen mehr Festanstellungen für Wissenschaftler*innen, die nach Abschluss des Doktorats an Hochschulen angestellt werden. Im Herbst 2021 wurde die Petition, die von 8’603 Personen unterschrieben und von zahlreichen Mittelbauverbänden, akademischen Institutionen, Studentenvereinigungen, Gewerkschaften und Berufsverbänden unterstützt wurde, eingereicht.

Unbezahlte Überstunden

Dass das Problem drängt, zeigt eine Umfrage des Verbands des Personals der Öffentlichen Dienste (VPOD) aus dem Jahr 2021. Sie zeigt eindrückliche Zahlen zu den Überstunden des akademischen Nachwuchses an der Universität Zürich. Ein Drittel der Mittelbauangehörigen nahmen an der Umfrage teil. Davon gaben 31,5 Prozent an, zwischen fünf und zehn Überstunden pro Woche zu leisten, bei 47 Prozent waren es zehn oder mehr und 14 Prozent leisteten sogar über 20 Überstunden.

Assistierende sind oftmals zwischen 50 und 60 Prozent angestellt, was je nach Lehrstuhl oder Projekt einen monatlichen Lohn zwischen 3’600 und 4’000 Franken ergibt. Mit den Überstunden wird das Teilzeit- jedoch schnell zum Vollzeitpensum – bei gleichem Lohn. Dazu kommt, dass 80 Prozent der Stellen an den Schweizer Universitäten befristet sind. Angestellte des Mittelbaus sind deshalb von massiver Planungsunsicherheit, mangelnden Zukunftsperspektiven und Unterbezahlung betroffen. Meistens garantiert nur eine Professur eine unbefristete Anstellung. Zudem sind fast alle Doktorierenden und Postdocs direkt an den Lehrstühlen angestellt. Betreuende Professor*innen sind somit auch direkte Vorgesetzte, die jeweils über die Verlängerung des Arbeitsvertrages entscheiden. Das resultiert in einem Abhängigkeitsverhältnis und Machtungleichgewicht, das Ausnutzung begünstigt.

Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung der Uni, betont jedoch: «Es ist nicht so, dass die Unzufriedenheit im Mittelbau allgegenwärtig ist.» In regelmässig durchgeführten Absolvent*innenstudien waren 2019 nur 6,4 Prozent der befragten Doktorierenden mit dem Doktoratsstudium insgesamt unzufrieden. Auch laut einer Umfrage des Elfenbeintürmers, der Zeitschrift des historischen Seminars, herrscht grundsätzliche Zufriedenheit beim wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Kategorien Lohn- und Zukunftsaussichten sowie Betreuungs- und Anstellungsbedingungen schneiden allerdings schlechter ab. Dabei gibt es zwischen den Lehrstühlen grosse Unterschiede.

Lösungen liegen auf der Hand

«Besonders frustrierend ist, dass man seit 20 Jahren weiss, was das Problem ist, und eigentlich auch die Lösungsansätze kennt», meinen die Initiant*innen der Petition Academia. 2013 hielt der Schweizer Wissenschaftsrat fest, dass die Stellenstruktur der Universitäten eine akademische Laufbahn unattraktiv macht. Zum einen aufgrund der schlechten Vereinbarkeit von Job und Familie, zum anderen wegen mangelnder Anschlussperspektiven.

Basierend auf der Petition des VPOD haben Mitglieder des Kantonsrats dem Regierungsrat nun eine Anfrage bezüglich unbezahlter Überstunden gestellt. Auf die geleisteten Überstunden wird im Beschluss des Regierungsrates nicht eingegangen. Bezüglich Arbeits- und Forschungszeiten wird einzig auf die Pflichtenhefte verwiesen. Diese legen die vereinbarten Arbeitsanteile für Forschung, Lehre und weitere Aufgaben fest. Laut der Co-Präsidentin der Vereinigung des akademischen Nachwuchses (VAUZ), Hannah Schoch, würden diese Pflichtenhefte an den Lehrstühlen aber oftmals weder implementiert noch eingehalten.

Somit schiessen sich die Entscheidungsträger*innen laut der Petition Academia ins eigene Bein: «Die Universitäten verlieren gute Nachwuchsforscher*innen und mit ihnen das Wissen sowie dringend benötigte Forschungs- und Lehrkapazitäten.» Besonders in Hinblick auf die angespannte Situation mit der EU und den Ausschluss aus Horizon 2020 und entsprechenden Fördermitteln sei es wichtig, qualifiziertes Personal mittel- und längerfristig halten zu können.

«Die Universitäten verlieren gute Nachwuchsforscher*innen»
Petionär*innen von Petition Academia

«Auch wir sehen Handlungsbedarf bei der akademischen Nachwuchsförderung und versuchen, neue Wege zu gehen», entgegnet Elisabeth Stark. Neben dem kompetitiven Weg zur Professur über ein Doktorat und eine Habilitation will die Uni Zürich neue Karrierewege mit neuen Stellenprofilen schaffen. Diese Stellen in einer neuen Kategorie «Oberer Mittelbau» sollen nicht mehr automatisch befristet sein. Für den klassischen Karriereweg will sich die Uni dafür einsetzen, dass die Zeit, welche der Nachwuchs für eigene Forschungsprojekte erhält, an den Fakultäten erhöht wird, an denen sie zurzeit noch zu tief ist. Diese soll in den Pflichtenheften festgeschrieben werden. «Es tut sich also bereits einiges, um die derzeitige Situation weiterzuentwickeln.»

Die Initiant*innen sind dennoch der Auffassung, dass ihre Arbeit noch lange nicht getan ist. «Zurzeit sind wir in intensivem Austausch mit Bundespolitiker*innen in den zuständigen Kommissionen. Wir hoffen, dass sie die Petition in der diesjährigen Frühlingssession aufgreifen werden.» Auf nationaler Ebene könne man Probleme lösen, die das ganze universitäre System betreffen. Für Verbesserungen an einzelnen Universitäten seien Beschlüsse auf kantonaler Ebene und an den Universitäten entscheidend.

«Es braucht mehr Festanstellungen»

«In Zürich sind die Delegierten des Mittelbauverbands auf den verschiedenen Ebenen der Uni aktiv im Gespräch», erklärt Schoch. Seit Jahren fordert die VAUZ, dass die Pflichtenhefte an den Fakultäten der Uni Zürich endlich umgesetzt werden. «Alle müssen zu Beginn der Anstellung über die Pflichtenhefte informiert werden. Zudem soll klargestellt werden, dass diese verbindlich sind und die Rahmenbedingungen einer Anstellung regeln.» Insbesondere dürften die Aufgaben in Lehre und Administration die maximalen Stunden nicht überschreiten. «Das geht immer zu Lasten der Forschung, was auf befristeten Qualifikationsstellen problematisch ist.» Es brauche deutlich mehr Festanstellungen für Personen, die nach dem Doktorat an einer Hochschule angestellt werden. So könne die Arbeitslast angemessener verteilt werden. «Wir brauchen qualifizierte Personen mit viel Arbeitserfahrung, die Aufgaben in der Lehre, in der Forschung, in der Selbstverwaltung wie auch in der Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit und der Politik übernehmen können», so Schoch. «Die Investition in Postdocs oder auch in befristete Professuren ist nicht nachhaltig, wenn die Schweiz und die Wissenschaft die Forschenden nach wenigen Jahren wieder verlieren.»