Komponistinnen ins Scheinwerferlicht rücken
Klassische Werke — Der Ausschluss von Frauen aus der Geschichte der klassischen Musik geschieht auf mehreren Stufen. Nicht nur wurde ihnen in der jeweiligen Epoche das Komponieren für eine breitere Öffentlichkeit erschwert; auch auf der Ebene der Geschichtsschreibung werden die Leistungen von Frauen ignoriert, an den Rand gedrängt und häufig dem Vergessen überantwortet. Wenn man sich an den gängigen, weitestgehend männerdominierten Kanon der klassischen Musik hält, wird man vielleicht bald herausfinden, dass beispielsweise Hildegard von Bingen und Clara Schumann Werke komponiert haben, aber man wird vielleicht auch schnell zur Annahme gelangen, dass es sich dabei um einige wenige ganz einsame Ausnahmen handle. Dieser Eindruck wird auch durch die aktuelle Aufführungspraxis verstärkt, die sich häufig vor allem an die publikumswirksamen «grossen Männer» der klassischen Musik wie Bach, Mozart und Beethoven hält.
Bei der Vermutung, Frauen hätten in der Geschichte der klassischen Musik ohnehin kaum eine Rolle gespielt, handelt es sich aber um einen groben Irrtum. Dies demonstriert ein neues Projekt mit dem Titel «Musikmeisterinnen », das vom Fachverein Musikwissenschaft der Universität Zürich und dem feministischen Kollektiv F96 lanciert wurde: Ein historisch orientiertes Poster im A1-Format soll den Blick für Komponistinnen von der Antike bis zur Moderne öffnen und so den fast ausschliesslich männlich bestimmten Kanon korrigieren. Unterstützt werden der Fachverein und F96 dabei durch Beiträge aus einer Crowdfunding- Kampagne und durch den VSUZH – nach dem Lancierungsanlass am 26. November kann das Poster dann direkt beim Fachverein Musikwissenschaft erworben werden.
Unter demselben Zeichen stehen auch die diesjährigen Winterkonzerte des Universitätsorchesters Polyphonia Zürich: Unter dem Titel «Grosse Meisterinnen» werden am Freitag, den 17. Dezember und am Mittwoch, den 22. Dezember, ausschliesslich Werke von Komponistinnen des 19. Jahrhunderts in der Aula der Universität Zürich gespielt. Zu hören gibt es dort die Ouvertüre für Orchester in C-Dur von Fanny Hensel (1805–1847), das Andante für Klarinette und Orchester in D-Dur von Alice Mary Smith (1839–1884) und die Sinfonie in f-Moll von Emilie Mayer (1812–1883) – allesamt Werke, die erst langsam wieder an Sichtbarkeit und Prominenz gewinnen und die ausserhalb eines spezialisierten Publikums nur wenigen Hörer*innen wirklich geläufig sein dürften.
Man darf hoffen, dass sich das bald ändert. Obwohl es sich durchwegs um Werke ungefähr aus der Mitte des 19. Jahrhunderts handelt, erweist sich die Kombination als ausgesprochen vielseitig: Mayers Sinfonie ist geprägt von virtuos eingesetzten, romantisch-spektakulären Stimmungsumbrüchen, satter Vielschichtigkeit und Nuancenfreude; Alice Mary Smiths Andante hingegen ist ein mustergültiges Beispiel klassischer Balance und ausgeglichener Eleganz; Hensels Ouvertüre wiederum ist ein kräftiges, in sich konzentriertes Stück, das dennoch totale Mühelosigkeit suggeriert.
Solche Projekte sind Schritte in Richtung der Korrektur eines historiografischen Missstandes, gleichzeitig aber auch Einladungen, bislang viel zu wenig berücksichtigte Kunstwerke kennenzulernen und zu geniessen. In die Freude des Wiederentdeckens mögen sich dabei aber auch Wehmut oder Zorn darüber mischen, dass so viele Künstlerinnen dieses Kalibers aus der Vergessenheit erst wieder zurückgeholt werden müssen.