Der Verein Public Eye organisiert Stadtrundgänge zum Thema Finanzplatz Zürich. Clara Wittig

Ein anderer Blick auf den Zürcher Finanzplatz

Ein Stadtrundgang macht auf die Verstrickungen des hiesigen Banken- Milieus aufmerksam.

5. Dezember 2021

«Die Aktienanlagen der Schweizerischen Nationalbank verursachen ungefähr so viel CO2, wie die ganze restliche Schweiz in einem Jahr. Das heisst, allein durch die Investitionen unserer Nationalbank verdoppeln sich die CO2-Emissionen der Schweiz.» Das ist nur einer der vielen unangenehmen Fakten, von denen Mirco Lauper berichtet. Umgeben von rund vierzig Interessierten steht der Leiter des Spaziergangs vor dem Zürcher Sitz der Schweizerischen Nationalbank – einer der Stationen des «kritischen Stadtrundgangs zum Finanzplatz Zürich», zu dem die örtliche Regionalgruppe von Public Eye an diesem kalten Novemberabend eingeladen hat.

Der Verein setzt sich dafür ein, dass Schweizer Unternehmen und die Politik ihre Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte wahrnehmen. Dieser Überzeugung geht die Organisation Public Eye mit aufwendigen Recherchen nach, aber auch mit Aktionen wie dieser.

Von Alfred Escher bis zur Credit Suisse

Die Idee zur Entwicklung des Stadtrundgangs entstand bereits 2016, nachdem der Skandal um die Panama Papers durch die Medien an die Öffentlichkeit gelangt war: «Am Finanzplatz läuft sehr viel, wovon wir keine Ahnung haben! Deshalb wollten wir als Regionalgruppe etwas zu diesem Thema machen», erinnert sich Nora Schmidlin, die den Abend mitleitet. Als Regionalgruppe von Public Eye in Zürich hätten sie explizit Stationen ausgesucht, die wirklich einen Bezug zu Institutionen in Zürich haben, erklärt sie weiter. Der entstandene Stadtrundgang deckt eine Vielfalt an Themen ab: Er beginnt beim Alfred-Escher-Denkmal und den historischen Anfängen des Finanzplatzes Zürich und endet am Paradeplatz mit dem Credit-Suisse-Kreditskandal in Mosambik, der diesen Oktober Wellen geschlagen hat.

Briefkastenfirmen, das Bankgeheimnis, Investitionen in umstrittene Regime, überlastete Ämter zur Meldung von Geldwäscherei, fehlende Steuertransparenz und Kreditgeschäfte, die ganze Staaten destabilisieren – das ist nur ein Ausschnitt aller Themen. Der Teppich aus Problemebenen, Interessensgruppen und eingebauten Fallstricken ist dicht geflochten, doch die Stadtführer*innen – obschon keine Ökonom*innen – geben sich Mühe, geschickt durch dieses Gewirr hindurch zu navigieren.

Gesellschaftlich relevante Fakten

Nach dem Input zur Schweizerischen Nationalbank setzt die Gruppe ihren Weg durch die Strassen der Zürcher Innenstadt fort. Kaum eine*r der Mitspazierenden ist selber in der Finanzbranche tätig, aber viele interessieren sich schon länger für das Thema. Ob der Rundgang vor allem Leute erreicht, die sich nicht sowieso schon für diese Themen interessieren? «Das ist natürlich immer schwierig », gibt Schmidlin zu. Doch nächste Woche fände die erste Führung mit einer Gymnasialklasse statt, erzählt sie stolz. Es wäre interessant zu wissen, was die Gymnasiast*innen vom kritischen Stadtrundgang mitnehmen.

Was sicher ist: Die Führung rüttelt wach, insbesondere die Fakten zu den Aktienanlagen der Schweizerischen Nationalbank sind verblüffend. Und die Informationen sind auch von grosser gesellschaftlicher Relevanz – zum Beispiel der Konflikt zwischen Währungsstabilität und Klimawandel. Dies alles stärkt die Forderung nach mehr öffentlicher Beachtung dieser Themen, besonders in Zeiten, in denen sich verschiedenste globale Krisen überlappen und es dabei immer auch um Finanzen geht. Dies hat der Spaziergang jedenfalls deutlich gemacht.