Vorgabe bei der «Stadtidee» war, dass die Projekte einen Bezug zum Thema «Klima und Umwelt» oder «Kinder und Jugendliche» haben. Sumanie Gächter

Das Quartier mitgestalten

Die Stadt hat ein Pilotprojekt gestartet, bei dem die ganze Bevölkerung Ideen einreichen konnte. Die beliebtesten werden nächstes Jahr umgesetzt.

5. Dezember 2021

Nächstes Jahr wird Zürich um einige Kräutergärten und Dorfplatzfeste reicher. Der Idaplatz wird im Sommer neben den charakteristischen Menschenansammlungen neu auch von Bienen wimmeln und Schulkinder werden vermehrt zur Kochschürze greifen. Auch ein autofreier Sonntag und ein Tischtenniskurs für Mädchen werden durchgeführt. Dies alles finanziert durch die «Stadtidee», ein partizipatives Pilotprojekt der Stadt.

Die «Stadtidee» hat die Stadtbevölkerung zwischen dem 10. Juli und dem 4. September 2021 dazu eingeladen, Ideen zur Quartiergestaltung einzureichen. Dabei gab es lediglich zwei Vorgaben: einen Bezug zu den Themen «Klima und Umwelt» oder «Kinder und Jugendliche» und dass sich die Projekte mit maximal 9'999 Franken eigenständig umsetzen lassen. Sofern als machbar eingestuft, wurden die Eingaben zur Abstimmung freigegeben. 61 Projekte wurden von den Quartierbewohner*innen für bereichernd befunden und erhalten somit einen Teil des Budgets.

Ein internationales Partizipationsmodell

Die «Stadtidee» ist inspiriert von ähnlichen Projekten im Ausland. In Paris werden seit 2014 jährlich Projekte von der Bevölkerung an die Stadtverwaltung delegiert. Die Hauptstadt Frankreichs verfügt dabei über Budgets bis in den Millionenbereich. In diesem Rahmen wurden über zweitausend Projekte verwirklicht, viele mit Bezug zu Schulsanierungen oder zur Aufwertung des öffentlichen Raumes. Der Zürcher Gemeinderat stellte dem Stadtentwicklungsbereich «Smart City Zürich » nun 540'000 Franken für ein eigenes Pilotprojekt zur Verfügung.

Für die «Stadtidee» gingen schliesslich 167 Projektvorschläge ein. Von den 135 als umsetzbar eingestuften Ideen wurde fast die Hälfte von den Stadtbewohner*innen für die Finanzierung nominiert. Die Projektleiterin bei «Smart City Zürich» Margot Gagliani wird die Projekte nun bei der Umsetzung begleiten, besonders wenn es um Veranstaltungs- oder Baubewilligungen geht. Zudem wird ausgewertet, welches Potential diese Art von partizipativem Budget für Zürich längerfristig habe. «Wir müssen auch schauen, welche hyperlokalen Projekte stadtweit spannend sind und nicht nur für einzelne Strassen», so Gagliani.

Tiefe Stimmbeteiligung

Die Stadtideen mussten sich jeweils auf einen der vier Stadtteile Zürich-Nord, -Ost, -Süd oder -West beziehen. Pro Stadtteil konnte das Budget auf mindestens fünf Projekte verteilt werden. So sollten auch Projekte von weniger stark Vernetzten eine Chance haben. Das Komitee warb auf der Webseite: «Es dürfen übrigens alle abstimmen: egal ob mit oder ohne Schweizer Pass und älter oder jünger als 18 Jahre!» Abgestimmt haben schliesslich 1'804 Menschen, was 0,4 Prozent der Stadtbevölkerung entspricht.

Dass die Stimmbeteiligung verhältnismässig tief war, stört die Projektleiterin nicht. Auch bei regulären Wahlen und sonstigen demokratischen Prozessen würden sich nicht alle beteiligen. Gagliani sagt: «Wir sind zufrieden, da sichtbar mobilisiert wurde. Viele Ideen haben über 100 Stimmen und wenn sich so viele Menschen im Quartier etwas wünschen, lohnt es sich, dies zu ermöglichen». Kommuniziert wurde vor allem online, über eine Plakatkampagne und über Gemeinschafts- und Jugendzentren.

Ein Cheeseburger als Inspiration

Ein in Zürich-Ost angenommenes Projekt ist eine Nachbarschafts-Vernetzungsapp von William Dunkel. Mit seiner App «Foif Gfalle» sollen Nutzer*innen Lebensmittel, Haushaltsgeräte und Dienstleistungen austauschen können. Dies wirke sich dann positiv aufs Klima aus, da weniger Ressourcen verschwendet würden.

Der Psychologe erzählt: «Auf die Idee kam ich vor ungefähr zwölf Jahren, als ich im Nachtbus Lust auf einen Cheeseburger bekam, jedoch nicht aussteigen und eine Stunde warten wollte. Da wäre es cool gewesen, wenn mir jemand einen Burger auf den Nachtbus hätte bringen können.» Er habe die Idee schon während seines Studiums umsetzen wollen und dafür sogar einen «Social Impact Award» vom Impact Hub Zürich erhalten. Jedoch reichte das Geld nicht, um einen Prototypen zu programmieren. Durch die «Stadtidee» erhält er nun 8'000 Franken für sein Projekt – «ein Startschuss», wie er sagt.

Weiter finanziert die «Stadtidee» ein Musikstudio für Jugendliche in Affoltern. Der Jugendarbeiter Jeffrey Kunz und sein fünfköpfiges Team

«In Zürich wird vieles bereits von der öffentlichen Hand abgedeckt.»
Margot Gagliani, Projektleiterin und Hauptverantwortliche der «Stadtidee»

fördern damit den künstlerischen Ausdruck von Jugendlichen im Einzugsgebiet. «Seit einem Jahr bieten wir Musikproduktions-Workshops an. In unseren Räumlichkeiten erforderte dies jeweils einen grossen Mehraufwand.» Als sie ein Angebot für ein permanentes Produktionsstudio erhielten, fehlte das Geld für professionelle Geräte. «Daher haben wir uns dazu entschieden, zusammen mit interessierten Jugendlichen zwei Projekteingaben einzureichen.» Dafür erhalten sie nun 17'362 Franken.

Grünes Kochen im Trend

Zwei weitere erfolgreiche Projekte wurden von Lehrerinnen eingereicht. Josephine Herzig erzählt: «Zwei Freundinnen und ich hatten vor zwei Jahren den Traum einer mobilen Schulküche». So konzipierten die drei Zürcherinnen einen spielerischen Kochkurs, worin Kinder für Themen wie Klimawandel, Biodiversität und Food Waste sensibilisiert werden. Ihr «Slow Mobil» kommt nun in Zürich-West zum Einsatz.

Franziska Stöckli ist Primar und Sekundarlehrerin und spezialisiert auf Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen. Für ihr Projekt entwickelte sie zusammen mit ihren Schüler*innen inspiriert vom Schweizer Kochbuchklassiker «Tiptopf» ein eigenes Kochbuch. Darin präsentiert sie vegetarische Gerichte. «Das Buch soll die kulturelle Vielfalt der Schweiz widerspiegeln», so Stöckli. Ihr «Greentopf-Kochkurs» wurde in Zürich- Ost angenommen. Die beiden Kochkursreihen erhalten je rund 9'000 Franken.

Veränderung auf hohem Niveau

Viele Ideen, die nun umgesetzt werden, schaffen einen Mehrwert für die jeweiligen Quartiere. Doch bei genauer Betrachtung sind sie die meisten etwas ähnlich. Dies womöglich aufgrund der Themenvorgabe. Laut Gagliani sei dies auch auf den hohen Lebensstandard der Schweiz zurückzuführen. In anderen Ländern hätten partizipative Budgets einen grossen Einfluss auf die Lebensqualität, etwa in Brasilien, wo das Konzept entstanden sei. «Dort wird das partizipative Budget für Wasserversorgung und Strassenbau verwendet. In Zürich ist dies bereits von der öffentlichen Hand abgedeckt.»

Fragwürdig bleibt die Diversität unter den Teilnehmer*innen. Viele Ideen wurden von Jugendarbeiter*innen oder Quartiervereinen eingereicht. Nur zwei englischsprachige Ideen trafen ein. Dies obwohl «Smart City Zürich» die Webseite auf Englisch übersetzt und das Projekt auch über die Kanäle der Integrationsförderung geteilt hat. Gagliani räumt ein: «Es hätte wohl noch mehr Möglichkeiten gegeben. Auch an Hochschulen haben wir nicht spezifisch kommuniziert. Dort würden wir nächstes Mal vielleicht stärker ansetzen.» Sie hatten die Hypothese, Studierende seien im Quartier weniger vernetzt.

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn die Stadt auch breitere Bevölkerungsschichten abholen würde, um die Bedürfnisse aller Stadtbewohner*innen einzubeziehen. Denn dieses Jahr scheinen primär gut situierte Zürcher*innen mit grossem Netzwerk vom partizipativen Budget profitiert zu haben. Dennoch werden die Stadtquartiere nächstes Jahr etwas grüner, blumiger und lebhafter erscheinen. Dies dürfte wohl die meisten erfreuen.