«Wie das hier läuft, ist das eine Sauerei!»
Jacqueline Badran im Interview zur Zürcher Wohnpolitik.
Frau Badran, «Stadt der Superreichen und Schönen»: Dystopie oder schon Realität?
Realität! Die Dystopien von gestern sind die Realitäten von heute. In dem Zustand befindet sich unsere ganze Welt.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Wohnungswirtschaft in der Schweiz?
Wir haben immer mehr Nachfrage bei einem chronisch tiefen Angebot an Boden. Das ist nicht nur so, weil wir ein kleines Land sind mit viel Alpen, wo man nicht wohnen kann, sondern auch, weil die Wertsteigerungen des Bodens so hoch sind. Das heisst, wenn ich ein Stück Land besitze, das jedes Jahr 6 Prozent an Wert gewinnt, ohne dass ich einen Finger dafür rühren muss, wieso soll ich es verkaufen?
Unternimmt die Stadt Zürich zu wenig für eine faire Immobilienwirtschaft und bezahlbaren Wohnraum?
Fair ist das nie. Reden Sie von gemeinnützig versus kommerziell! Die Immobilienwirtschaft ist so dermassen kommerzialisiert und funktioniert wie ein Staubsauger, der der Volkswirtschaft Ressourcen absaugt. Man muss am System per se Änderungen vornehmen. Wir haben ja eine Kostenmiete plus eine gedeckelte Rendite – das ist die Philosophie unseres Mietrechts. Man darf also nicht mehr als ein halbes Prozent über dem Referenzzinssatz Rendite erzielen; im Moment entspricht das 1,75 Prozent. Es gibt nichts, was in der Verfassung so oft genannt wird wie das Wohnen. Und es gibt einen Grund, wieso man ein Recht auf bezahlbare Wohnungen hat: Das Wissen darum, dass man wohnen muss.
Sie haben eine parlamentarische Initiative eingereicht, in der Sie eine «Periodische Revisionspflicht der Rendite auf Mieteinnahmen» fordern. Welche Probleme gibt es mit den bestehenden Gesetzen?
Unsere Gesetze greifen nicht, weil es keine Kontrollen gibt. Mietende müssen momentan einen illegalen Zins beim Vermietenden anfechten. Die Betroffenen müssen also aktiv werden und wissen das oft nicht, oder denken: ‹Ui dann fliege ich aus der Wohnung›, was zwar nicht passieren würde, aber sie haben Angst oder scheuen die Umtriebe. So, wie das hier gemacht wird, ist das eine Sauerei.
Kritiker*innen bemängeln den bürokratischen Aufwand infolge Ihrer Initiative. Wie stehen Sie dazu?
Zurzeit ist es so, dass die Mietenden klagen müssen. Das ist eine absolute Zumutung, dass man einer Norm, die in der Verfassung steht, so entgehen kann. Dann kommen Politiker*innen mit dem völlig absurden Argument der Bürokratie. Im Moment überlassen sie die Bürokratie den Mietenden, die sich wehren sollen, wenn jemand versucht, eine illegale Rendite zu erzielen. Es gibt eine Studie der Raiffeisen Bank, die zeigt, dass die Abweichung der effektiven Mietzinse vom gesetzlichen Rahmen jährlich rund 14 Milliarden Franken beträgt. Wie kommt das denen in den Sinn, dem ein lapidares Bürokratieargument entgegenzustellen, wenn man den Mietenden so viel Geld illegal aus der Tasche zieht?
Wie kann man überhöhten Renditen vorbeugen?
Als Unternehmerin muss ich meine Firma der normalen Revision unterziehen, die in einer Aktiengesellschaft obligatorisch ist, genauso wie die periodische AHV- und Mehrwertsteuerrevision. Das ist ein völlig akzeptiertes Instrument und hat auch eine präventive Wirkung: Man mogelt nicht, wenn man weiss, dass eine Revision bevorsteht und man das Geld zurückzahlen muss. Auch die Vermietenden müssten das dann zurückzahlen.
Das heisst, das Ziel Ihrer Initiative ist die Änderung des Mietrechts, respektive, dass es durchgesetzt wird, damit die Finanzen wieder am richtigen Ort sind?
Ja, genau. Die Immobilienwirtschaft ist die grösste Umverteilungsmaschinerie; übrigens weltweit. In der volkswirtschaftlichen Gesamtgleichung gibt es drei Faktoren: Arbeit, Kapital und Boden. Im Gegensatz zu den anderen Gütern kann man auch bei einer grösseren Nachfrage nicht mehr Boden produzieren. Boden ist zudem Zwangskonsum: Er ist essenziell, wie Wasser oder Luft.
... oder studentischer Wohnraum! Wieso wird da nicht mehr unternommen?
Es wird nicht wenig gemacht, es hat einfach wenig Boden und Immobilien. Wenn die Stadt nicht aktiv kauft, kann sie auch nicht bauen und keine Wohnungen vermieten. Sie kann den Leuten nicht befehlen, studentische Wohnungen anzubieten.
Im Umkehrschluss bedeutet das also, die Stadt müsste viel mehr kaufen?
Klar. So wie früher: 50 Prozent vom Budget für Land- und Bodenkäufe. Fertig!
Warum gibt es hier im Vergleich zu Ländern wie Deutschland so wenig Wohnraum für Studis?
In der Regel studieren die Leute in der Schweiz – anders als in Deutschland – dort, wo sie herkommen. Die meisten Studis in meiner Jugend haben noch zuhause gewohnt. Insofern gibt es keine Tradition für studentisches Wohnen in der Schweiz. Doch die Mobilität der Studierenden hat enorm zugenommen. Jetzt kommen ganz viele Ausländer*innen her zum Studieren. Im Zuge der Personenfreizügigkeit hat sich der Trend verstärkt. Die Studierenden aus dem Ausland sind auf Wohnmöglichkeiten angewiesen, denn sie können nicht bei ihren Eltern leben. Daher hat man heute eine neue Situation.
Was ist Ihre Vision für die Wohnungswirtschaft der Zukunft?
Wenn ich Königin wäre, dann würde alles den Leuten gehören. Wir hätten Urban Gardening, viel mehr Kreislaufwirtschaft, wir würden mehr moderne Altstädte bauen.
Was meinen Sie konkret mit moderner Altstadt?
Einen Ort, wo es kein Auto braucht, weil alles in Fussnähe ist. Das ist auch soziologisch besser, wenn man sich kennt, nachbarschaftliche Beziehungen pflegt und alle Communityfunktionen vorhanden sind. Das einzige Problem an Altstädten ist, dass sie zu nah aufeinander gebaut sind. Städte sollte man bauen wie Minidörfer, die wie Kleinststädte funktionieren. Das ist meine Vision von der Stadt. Wir machen aber zurzeit das Gegenteil.