Der Integrationsvorkurs «START! Studium» will Geflüchtete auf ein Hochschulstudium vorbereiten. Leah Süss

Bessere Chancen für Geflüchtete an der Uni

Eine Petition fordert erleichterten Zugang zu Hochschulen. Die Universität Zürich startet ein eigenes Integrationsprogramm.

26. September 2021

«Bildung für alle – jetzt!» stellt sechs Forderungen, die den Zugang zu Bildung für jegliche Asylsuchende verlangen. Die Kampagne und Petition wurde vom gleichnamigen Verein «Bildung für alle – jetzt!» lanciert, der vom Verband der Schweizer Studierendenschaften VSS mitbegründet wurde. Der Verein möchte, dass sowohl anerkannte Geflüchtete, als auch vorläufig Aufgenommene sowie Personen mit abgelehnten Entscheiden und Sans-Papiers in das Schweizer Bildungswesen integriert werden. In Bezug auf Hochschulen wird gefordert, dass der Bund, die Kantone und die Hochschulen Geflüchtete mit guter Vorbildung beim Zugang zu Hochschulen unterstützen und mitgebrachte Diplome besser anerkennen.

Die Arbeitsgruppe (AG) «Integration durch Bildung» formulierte im Oktober 2020 weitere, explizite Forderungen zum Hochschulzugang. In Bezug auf studieninteressierte Geflüchtete verlangt die AG, bestehend aus studentischen Geflüchteten und Studierenden, Zugang zu Stipendien sowie eine erleichterte Anerkennung von auswärtigen Diplomen. Die AG bemängelt weiter, dass Bildungsabschlüsse wie Mittelschul- und Hochschuldiplome «kaum systematisch erfasst» und «wenig ernst genommen» würden. Die Forderungen der Arbeitsgruppe bilden die Grundlage für die politische Arbeit des VSS-Projekts «Perspektiven – Studium».

Für die Petition «Bildung für alle – jetzt!» konnten schliesslich knapp 20’000 Unterschriften gesammelt werden. Die Forderungen wurden am 22. September 2021 eingereicht. Während die Antwort der Politik aussteht, haben sich Schweizer Hochschulen seit 2016 eigenständig organisiert und eigene Integrationsprogramme für studieninteressierte Geflüchtete geschaffen.

Hohe Hürden für geflüchtete Studierende

Von den Menschen, die in der Schweiz Asyl beantragen, haben gemäss Schätzungen des VSS etwa ein Zehntel eine Hochschulbildung angefangen oder bereits abgeschlossen. Zwischen 2016 und 2020 befanden sich somit rund 10’000 hochqualifizierte Geflüchtete in der Schweiz. Dennoch haben sich in diesem Zeitraum nur rund 130 Geflüchtete an Schweizer Hochschulen eingeschrieben. Die sprachlichen, finanziellen und administrativen Hürden sind hoch. Die Geflüchteten müssen das Deutschzertifikat C1 vorweisen und ihre ausländischen Diplome anrechnen lassen können. Jedoch werden für Asylsuchende im laufenden Verfahren, also mit Status N, systematische Deutschkurse nicht finanziert. Zudem wird die Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen je nach Hochschule unterschiedlich gehandhabt.

Um den Hochschulzugang für Geflüchtete zu vereinfachen, setzt sich der VSS in den beiden Projekten «Perspektiven – Studium» und «INVOST – Integrationsvorstudium an Fachhochschulen» ein. Dabei werden Beratungsangebote für geflüchtete Studieninteressierte durchgeführt, Schulungen und politische Kampagnen organisiert und die Finanzierung von lokalen Integrationsprojekten ermöglicht. An der Universität Zürich wurde seit 2016 ein Schnupperkurs für geflüchtete Studierende entwickelt. Das Projekt stand in engem Austausch mit «Perspektiven – Studium». Daraus ist nun das Programm «START! Studium» hervorgegangen.

Ein umfangreiches Integrationsprogramm

Der Integrationsvorkurs «START! Studium » ist das Produkt einer dreijährigen Pilotphase. Dabei werden an der Uni Schnupperkurse für geflüchtete Studierende angeboten. Das Projekt wird vom VSUZH und von der Abteilung Internationale Beziehungen der Uni Zürich koordiniert und ist als einjähriges Vollzeit-Bildungsangebot konzipiert. Mit den aktuellen Ressourcen sind vierzig geflüchtete Teilnehmer*innen zugelassen, die akademische Kurse besuchen, Deutschkurse sowie freiwillige Englisch- und Mathematikkurse belegen, ihre Skills in IT und Methodik verbessern und von einem sozialen Begleitprogramm in sogenannten Peer Groups profitieren.

Die sozialen Gruppen bestehen aus sieben geflüchteten Teilnehmenden und drei bis vier regulären Studierenden, die als Mentor*innen fungieren. Somit können sich die Geflüchteten untereinander und mit den regulären Studierenden an informellen Picknicks, Filmabenden oder in Buchclubs vernetzen. Das Programm ist für die Teilnehmenden kostenlos und wird von der Integrationsförderung des Bundes und des Kantons Zürich sowie von Stiftungen getragen. Zur Trägerschaft gehört auch der Solidaritätsfonds der Uni und ETH Zürich. Dieser besteht aus dem Beitrag von fünf Franken, den alle Studierenden jedes Semester zusätzlich zu den Studiengebühren freiwillig entrichten können.

«An der Uni kann ich Mensch sein»

Die Projektleiterin Sara Elmer aus der Abteilung Internationale Beziehungen freut sich, dass die diesjährigen Kick- Off-Events vor Ort stattfinden konnten. Dadurch konnten sich die Programmteilnehmenden mit den Räumlichkeiten und den Mitstudierenden vertraut machen. Zudem stellt Elmer fest: «Die Behörden anerkennen nun vermehrt, dass für Geflüchtete auch ein Studium ein sinnvoller Integrationsweg sein kann.» So konnte aus einem kleinen Pilot-Schnuppervorkurs das behördlich anerkannte Integrationsprogramm «START! Studium» entstehen.

Für die Zukunft wünscht sich Sara Elmer, das Projekt weiter in bestehende Lehrangebote integrieren zu können, so dass der Dialog zwischen regulären Studierenden und Programm-Teilnehmenden noch stärker gefördert werden kann, denn der interkulturelle Austausch sei für das Projekt essentiell. Ronja Zimmermann, Präsidentin der Studiumsintegrationskommission SIK des VSUZH und Koordinatorin der Peer Groups, erzählt: «In den Peer Groups haben wir mit der Zeit vor allem Diskussionsrunden abgehalten. Es ging gar nicht mehr primär um die Uni, sondern um den persönlichen Austausch.» Unter den geflüchteten Teilnehmenden herrsche eine Stimmung der Solidarität, zum Beispiel, wenn IT-affine Geflüchtete freiwillig als Coaches bei IT-Kursen mitmachen, um die anderen Teilnehmenden zu unterstützen. Elmer betont, das Projekt lebe davon, dass «neue Perspektiven» aufgezeigt werden könnten.

Die Projektleiterin höre oft, wie schön es sei, an die Uni kommen zu können und sich dort als Mensch und nicht nur als Flüchtling zu fühlen. Die Offenheit und Motivation der Teilnehmenden wurde deutlich spürbar, als sich die diesjährigen Peer Groups am Kick-Off-Anlass am 7. September 2021 zum ersten Mal kennenlernten. Nach der Begrüssungsrede begannen sich die Anwesenden sofort gegenseitig auszutauschen. Auch Kseniia Tretiak mischte sich in die Menge und erzählte von ihren Ausbildungszielen.

An der Uni Fuss fassen

Die 32-jährige Mutter von vier Kindern, die seit drei Jahren in der Schweiz lebt, hat in Russland bereits sechs Jahre an einer Universität Chemie studiert und als wissenschaftliche Assistentin gearbeitet. Sie hat den Aufenthaltsstatus N. Ihr Traum ist es, wieder an einer Hochschule Fuss fassen zu können. Sie sagt: «Ich liebe es, zu arbeiten und Neues zu lernen. An der Universität gibt es Leute, die neugierig sind; die interessante Ideen haben. Zu dieser Umgebung möchte ich gehören.» Tretiak erklärt, sie werde so viele Kurse wie möglich besuchen und die Zeit dazwischen für die Vor- und Nachbereitung nutzen. Sie beteuert: «Wir Geflüchteten haben wenig Geld und viel Druck von den Behörden. Wir werden das Studium ernst nehmen und besonders hartnäckig sein.»

Ein langer Weg steht bevor

Mit «START! Studium» konnte ein Projekt geschaffen werden, das einer Gruppe von studieninteressierten Geflüchteten einen Einblick in die Hochschulwelt ermöglicht. Dennoch schreibten sich gemäss dem Projektteam nur ein Bruchteil der Teilnehmenden nach dem Jahresprogramm für ein reguläres Studium ein. Die Frage der Finanzierung sei ein Faktor, der viele von einer Erst- oder Wiederaufnahme eines Hochschulstudiums abhalte. Vor allem, da die meisten Teilnehmenden schon eigene Familien hätten. Der Verein «Perspektiven - Studium» versucht mit der Petition «Bildung für alle – jetzt!» politisch auf das Thema aufmerksam zu machen. Bis Bildung für alle jedoch Realität werden kann, könnte es noch lange dauern.