Furkan will eine Raumfähre zum Mars bauen. trigon-film.or

Weltflucht mit Rakete

«Réveil sur Mars» von Dea Gjinovci ist ab dem 23. September in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

23. September 2021

Der erste Langfilm von Dea Gjinovci hätte leicht ein typisches Flüchtlingsporträt werden können: matschige Pfade, ausgemergelte Gesichter, Not und Elend – doch all das fehlt in Gjinovcis Film.

In ihrer Dokumentation «Réveil sur Mars» begleitet die Genfer Regisseurin eine asylsuchende kosovarische Roma-Familie in Schweden. Statt Stigmatisierung rückt die Regisseurin das Alltägliche in den Vordergrund, nimmt uns mit auf Behördengänge und Spitalbesuche, zeigt das Leben in der kleinen Wohnung. Selbst die Erkrankungen der beiden ältesten Töchter mit dem mysteriösen «Resignationssyndrom» dokumentiert sie einfühlsam, ohne je ins Rührselige abzudriften: Sanft, fast poetisch gleitet die Kamera über die beiden Geschwister im Koma.

Das Koma treibt auch Furkan um, den Jüngsten der Familie. Sein Einfall ist träumerisch schön, aber schwer realisierbar: eine Raumfähre zum Mars bauen. Was wie eine kindliche Spielerei wirkt, vermag der Film mit psychologischem Gehalt zu füllen. Denn schwer lastet die Ungewissheit auf der Familie: Werden die Schwestern aufwachen? Wird ihnen Asyl gewährt? Droht die Ausschaffung? Für Furkan schwingen auch Schuldgefühle mit. Denn er war es, der einst im heimatlichen Kosovo attackiert wurde, woraufhin seine Schwester schrie und augenblicklich zusammenbrach.

Die Raumfähre avanciert so zu einem Vehikel der Weltflucht und zur Erweiterung von Furkans Identität über die des Asylanten und Opfers hinaus. Die nordische Landschaft liegt da, stumm und grau, wie Furkans Augen. Zwischen den Weiten des Himmels und der Wiesen erscheint der Wald wie ein kümmerliches Band am Horizont. Allmählich türmt sich dort das Altmetall: Blech und Kabel von rostenden Autos und verlassenen Hütten. In diesem einfühlsamen Film gelingt es Gjinovci, Furkan und seiner Familie das Stigma der Flucht zu nehmen und ihnen die Würde als Mitmenschen zurückzugeben.