Sonja Wolfensberger (links) und Tanja Walliser (rechts) mit ihrem Team. zVg

Zürich soll einfühlsamer werden

Das Projekt «Empathie Stadt Zürich» will mit konstruktiven Dialogen Veränderung bewirken.

19. April 2021

Seit Oktober 2020 führen Tanja Walliser und Sonja Wolfensberger, die Gründerinnen des Projekts «Empathie Stadt Zürich», Kurse in «gewaltfreier Kommunikation» (GfK) durch. Zu deren Techniken gehören empathisches Zuhören, ehrlicher Ausdruck und Selbstempathie. Vor zwei Jahren nahm die Idee hinter «Empathie Stadt Zürich» ihren Anfang. Mittlerweile hat Walliser ihren früheren Job aufgegeben. Die GfK wurde zum Vollzeitprojekt.

Nebst Kursen bieten Walliser und Wolfensberger Weiterbildungen und Teambegleitungen an, etwa für politische Organisationen. «Als ich zum ersten Mal einen Workshop bei den beiden besuchte, dachte ich, es gehe nur darum, nett zu sein und einander gut zuzuhören», erzählt Myrta Grubenmann, Studentin an der Uni Zürich und ehemalige SP-Campaignerin.

Ein politisches Kommunikationsmittel

Dabei ist es die Kombination von gewaltfreier Kommunikation und politischer Arbeit, welche «Empathie Stadt Zürich» von anderen Angeboten unterscheidet. «Der Begründer der gewaltfreien Kommunikation, Marshall Rosenberg, verstand seine Methode immer als Mittel für sozialen Wandel», betont Walliser. Heute werde die GfK zu oft nur als individuelle spirituelle Praxis genutzt – das sei nie die Idee gewesen. Doch auch Kursteilnehmerin Grubenmann bestätigt, sie habe – nachdem sie die anfängliche Skepsis überwunden hatte – das Gelernte zuallererst auf sich anwenden können. Wenn sie wütend sei, frage sie sich, was genau sie Wut verspüren lasse und weshalb: «Das nimmt einem die Hilflosigkeit, die Wut auslösen kann, und erhöht die Frustrationstoleranz», so Grubenmann.

Besser auf sich selber zu hören, sei ein wichtiger Aspekt des Ansatzes, bestätigt Walliser. Dass Selbstempathie in den politischen Strukturen zu kurz komme, musste die ehemalige Gewerkschaftssekretärin und SP-Parlamentarierin am eigenen Leib erfahren: Sie erlitt vor einigen Jahren ein Burnout. «Es ist wichtig zu erkennen, dass wir auch als politische Aktivist*innen Teil der Leistungsgesellschaft sind», sagt sie. Mit «Empathie Stadt Zürich» wolle sie die gewaltfreie Kommunikation anwenden, um solche Muster zu erkennen und zu ändern. Walliser betont: «Wir wollen die GfK nicht nur verwenden, um uns selbst zu einem produktiveren Rad der Gesellschaft zu machen.» Es gehe auch darum, Wut produktiv nutzen zu können. «Die Frage ist, wie wir mit ihr umgehen. Entweder wir lassen uns von Wut auffressen und werden zynisch – oder wir nutzen sie als Antrieb für unsere Vision einer gerechteren Gesellschaft», so Walliser.

Hoffen auf den Dominoeffekt

Ihr Ziel, Zürich «zur empathischsten Stadt der Welt» zu machen, tönt ambitioniert bis anmassend. Die Gründerinnen erhoffen sich, dass ihre Kursteilnehmer*innen das Gelernte in ihr Umfeld zurücktragen. Die Vorstellung hat etwas Missionarisches – wird die gewaltfreie Kommunikation zum Heilsversprechen? Walliser spricht stattdessen von einer empathischen «Community», die sie aufbauen möchte.

Die gewaltfreie Kommunikation von «Empathie Stadt Zürich» ist nicht esoterisch, sondern kapitalismuskritisch. Im Sommer läuft die Aufbauphase ab und «Empathie Stadt Zürich» wird reguläre achtwöchige Kurse anbieten. Die Preise sind nach der Schenkökonomie gestaltet: Alle zahlen so viel, wie ihnen das Angebot wert ist. Walliser hat Respekt vor dem finanziellen Risiko: «Aber ich bereue die Entscheidung nicht. Ich kann zu hundert Prozent hinter der Vision stehen, gewaltfreie Kommunikation zum Bestandteil des politischen Aktivismus zu machen.»