Südkorea perfektioniert den Neo-Noir-Film
Werk — Gleich zwei südkoreanische Filme, «Parasite» und «Minari», sorgten in den letzten Jahren für globale Schlagzeilen. Ersterer gewann den Oscar im Jahr 2020, letzterer ist dieses Jahr nominiert. Zuvor suchte man bei den Oscars vergebens nach koreanischen Werken. Dabei liefern die Regisseur*innen schon seit längerem interessante Perlen. Ein Paradebeispiel sind die Filme von Park Chan-wook. Zu einem seiner bekanntesten Filme zählt der Neo-Noir-Thriller «Oldboy» (2003) aus Parks «Vengeance»-Trilogie, die auch «Sympathy for Mr. Vengeance» (2002) und «Lady Vengeance» (2005) umfasst.
In «Oldboy» geht es um Oh Dae-su, einen verheirateten Mann mittleren Alters, der wegen einer Rauferei zur Polizeistation geführt wird. Als ihn sein Freund dort abholt, ruft er gerade seine Tochter an, da er ihren Geburtstag verpasst hatte. Darauf wird er kurzerhand gekidnappt und in ein hotelähnliches Zimmer eingesperrt. Niemand teilt ihm mit, wieso und für wie lange.
Langsam aber sicher verkommt Oh Dae-su in diesem Zimmer. Ein Fernseher wird für ihn zum Ersatz für die verwehrte Aussenwelt und Bildung und die ersehnten Freundschaften. Dae-su verbringt schlussendlich 15 Jahre in diesem Zimmer, als er plötzlich auf dem Dach eines Hochhauses aufwacht. Er beschliesst, sich an dem Menschen, der ihn ohne ersichtlichen Grund eingesperrt hat, zu rächen. Mithilfe der Sushi-Köchin Mi-do, in die er sich verliebt, schafft er es, seinen Peiniger ausfindig zu machen. Dieser stellt ihm ein Ultimatum: Wenn Dae-su den Grund seiner Inhaftierung herausfindet, dann wird er sich selber töten, andernfalls stirbt Mi-do.
Die Geschichte der langjährigen Isolation des Protagonisten thematisiert die gesellschaftliche Einsamkeit und Anonymität. Dae-su erzählt, er habe von Ameisen geträumt, worauf Mi-do ihm erklärt, dass Ameisen immer Teil eines Volkes und meist in Gruppen unterwegs sind. In seinem Traum zeigt sich das Verlangen, irgendwo dazuzugehören. Dae-sus Fernseher dient dabei als Metapher für die zunehmende mediale Vermittlung der Aussenwelt.
Die neuen Filme Park Chan-wooks demonstrieren, wie er sich als Regisseur weiterentwickelt hat. Zu ihnen zählt «The Handmaiden» (2016), der während der japanischen Okkupation Koreas in den 1930er-Jahren spielt. Das Dienstmädchen Sookee wird neu am Hof einer reichen japanischen Erbin angestellt.Ähnlich wie bei «Parasite» geht es bei diesem Film um die schleichende Infiltration einer reichen, privilegierten Familie. Der Film behandelt dabei die dunkle Vergangenheit zwischen Japan und Korea ebenso wie die Kluft zwischen Arm und Reich. Die nichtlineare Erzählweise, die viele koreanische Filme auszeichnet, lässt den Zuschauer lange im Dunkeln darüber, wie der Film sich entwickeln wird.
Mit solchen einzigartigen inhaltlichen und formellen Verfahren, wie sie in «Oldboy» oder «The Handmaiden» angewendet werden, bringen koreanische Filme einen originellen Blickwinkel auf die gesellschaftlichen Probleme und Phänomene. Die Regisseur*innen entwickeln den Neo-Noir-Film gekonnt weiter und bieten dabei aufmerksame Gesellschaftskritik. Damit vermögen sie Hollywood die Stirn zu bieten und das Publikum zu faszinieren. Denn letztendlich haben alle Menschen, wo auch immer sie herkommen mögen, ähnliche Probleme. Oder, um «Oldboy» zu zitieren: «Sei es ein Sandkorn oder ein Stein, im Wasser sinken sie gleich.»