Der Horror-Podcast spielt in der Region Appalachia in den USA. zVg

Hier erwachen die Geister der Vergangenheit

«Old Gods of Appalachia» von Steve Shell und Cam Collins auf Apple Podcast, Spotify, SoundCloud u.a.

8. März 2021

Podcast — Appalachia ist eine von gewaltigen Wäldern und Gebirgen geprägte Region der Vereinigten Staaten, die sich vom südlichen Ende des Bundesstaats New York bis hinunter nach Alabama und Georgia zieht; lange lebte man dort von Bergbau, Landwirtschaft und vom Holzfällen. Bis heute wird diese Gegend heimgesucht von Armut und Elend – nirgendwo wütet die US-amerikanische Opioid-Krise tödlicher als in Appalachia. In diesem Landstrich spielt «Old Gods of Appalachia» von Steve Shell und Cam Collins. Der Horror-Podcast ist als Hörbuchreihe in Häppchen von 15 bis 45 Minuten angelegt. Verfügbar ist die Serie auf den üblichen Plattformen. Wer auf der Webseite Patreon Gönner*in der Sendung wird, bekommt dafür zusätzliche Folgen, die aber ausserhalb der Chronologie der kostenlos zur Verfügung gestellten Erzählungen liegen. In «OGOA» wird der titelgebende Landstrich nicht nur von wirtschaftlichen und kulturellen Gewalten heimgesucht, sondern auch von uralten übernatürlichen Kräften: Hexenzirkel werden zum Refugium für unterdrückte Frauen, schlummernde Mächte werden durch ein Minenunglück auf den Plan gerufen, verbrannte Bergarbeiter kehren aus dem Grab zurück, die endlosen Wälder werden durchstreift von entsetzlichen Kreaturen mit zu vielen Beinen und Augen, und immer wieder taucht eine scheinbar unsterbliche Witch Queen auf. Die Mythenwelt von «OGOA» ist verwandt mit dem Kosmos H.P. Lovecrafts; während dessen Geschichten aber durchtränkt sind von rassistischer Paranoia und der Abscheu vor einer scheinbar «degenerierten», verarmten Landbevölkerung, bemüht sich «OGOA» um Empathie mit denen, deren Leben vom sogenannten historischen Prozess verheert werden. Es erzählt die Geschichte eines Landes, in dem menschliches Leben wenig gilt, ob es nun im Schlund kosmischer Monstrositäten endet oder zum Hungerlohn im Bergbau verheizt wird. «There is a curse upon my every wakin’ breath», wie es in «I Cannot Escape the Darkness» von Those Poor Bastards, dem Outro-Song, heisst. «OGOA» ist damit auch durchdrungen von der latent optimistischen Vorstellung, die viel der klassischen Schauerliteratur trägt: Dass die Opfer der Vergangenheit nicht für immer verstummt und vergessen sind, wie verzerrt ihre Klagen sich auch in die Gegenwart fortsetzen. Horror hat sich stets dazu angeboten, verborgene Ängste und problematische Sehnsüchte mal subtil, mal brachial zu artikulieren. Gerade in den letzten Jahren durften auch Filme und Serien Mainstreamerfolg geniessen, die – wie in einer bewussten Verdrehung des alten Diktums, dass die Tradition aller toten Geschlechter wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden laste – versuchten, historische Traumata als Genrehorror durchzuspielen.

Vorgetragen werden die Geschichten mehrheitlich von Steve Shell im charakteristischen zähen Dialekt der Region; dabei oszilliert er zwischen dem Raunen des rustikalen Geschichtenerzählers und der morbiden Blumigkeit, die spätestens seit Lovecrafts Prosa vielem kosmischen Horror anhaftet: «Coal was what they wanted, and coal is what they took. It was coal that started taking us as well. Everybody knows that you don’t climb into the dark earth without her swallowing a few of us whole. Her dark kiss planting seeds of decay in our lungs and blood – you do not take from the mother without her taking back.» Freund*innen des Genregrusels, die das nicht schreckt, dürften sich bei «Old Gods of Appalachia» bestens unterhalten finden.