En garde! #1/21: Gross-WGs

En garde!

Pro — Ich bin überzeugt, grosse Wohngemeinschaften sind die Lösung für allerlei gesellschaftliche Probleme. So liesse sich der immer knapper werdende Platz in Städten durch grössere Wohnkonstellationen bekämpfen. Auch der immense Ressourcenverschleiss durch den individuellen Besitz von Küchenutensilien oder Werkzeugen lässt sich herunterschrauben. Denn die Gross-WG gleicht einer bodenlosen Wundertüte. Egal welchen Gegenstand man gerade benötigt – ob Gummiboot, Schraubenzieher oder Pingpong-Schläger – immer findet sich jemand, der das benötigte Gut kurzfristig entbehren kann. Nicht zuletzt kann sie gar der schwindenden Anzahl Begegnungsräumen entgegenhalten. Das Zusammenleben mit verschiedensten Menschen schafft Verständnis für andere Perspektiven und zwingt dazu, die eigenen Ansichten immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. So lernt man nicht nur für sich selbst, sondern im Kollektiv zu denken und zu handeln. Und wer darauf mal keine Lust hat, schliesst einfach die Zimmertür. [nur]

Kontra — Ich bin keine Misanthropin, eine abgeschottete Insel ist nichts für mich. Aber will ich neben der gleichen Anzahl Leute in einer WG wohnen wie am Sonntag am See entlangspazieren? Nähe und Distanz sind ein schwieriges Spannungsfeld. So stürze ich mich liebend gerne in das tägliche Getümmel vor der Haustür. Aber meine Wohnung soll eine Burg sein mit nur eine*r Ritter*in, oder zwei oder drei, aber nicht mehr. Denn das Schöne an dieser Festung ist es ja gerade, dahin zurückzukehren, um all das zu verarbeiten, das man in der so vielfältigen wie einengenden Öffentlichkeit erlebt hat. Je mehr Personen aufeinander leben, desto mehr Einschränkungen gibt es, muss es geben, damit das Zusammenleben für alle stimmt. In meiner Burg, einem Raum ohne das leiseste Knacken eines Apfelkaugeräusches und wo Sex noch etwas Intimes ist, will ich mich für einen Kaffee nicht in eine Schlange stellen oder kalt duschen, weil das Warmwasser ausgegangen ist. Ich will die Küche roséfarben streichen können, ohne dass ich zehn andere um Erlaubnis zu beten habe. Ich teile gerne, aber dieser Kuchen gehört mir – zumindest, solange ich die überteuerte Miete bezahle. [stc]