Bührle-Ausstellung wirft Kontroversen auf
Im erweiterten Kunsthaus Zürich wird die Sammlung des Waffenfabrikanten Emil Bührle zu sehen sein. Eine Petition verlangt mehr Transparenz.
Mit der Eröffnung des Erweiterungsbaus diesen Herbst werde «neben Paris das bedeutendste europäische Zentrum für französische Malerei des Impressionismus entstehen», rühmt sich das Zürcher Kunsthaus auf seiner Webseite. Im neuen Gebäude wird auch die Sammlung des Waffenfabrikanten, Kunstsammlers und Mäzens Emil Georg Bührle zu sehen sein, obwohl diese seit Jahren kontrovers diskutiert wird. Längst bekannt ist, dass es sich bei einem Teil der Sammlung um jüdische Raubkunst handelt. Nach einem Gerichtsurteil im Jahr 1952 hatte Bührle dreizehn Gemälde an deren Besitzer*innen zurückgegeben und auf rechtmässigem Weg erneut erworben. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Herkunft der Gemälde blieb aber aus, bis sich die Bergier-Kommission in den 1990er-Jahren damit befasste und Historiker 2015 im «Schwarzbuch Bührle» die Untersuchungen vertieften. Die Stadt Zürich gab daraufhin bei Matthieu Leimgruber, Geschichtsprofessor an der Universität Zürich, einen Forschungsbericht in Auftrag, dessen Erscheinen die Diskussion im November 2020 erneut aufflammen liess.
Petition fordert Aufklärung
Einigen ist der 200-seitige Forschungsbericht jedoch nicht genug: Letzten Dezember lancierte die sogenannte «IG Transparenz» eine Online-Petition mit dem Titel «Licht in die Kunstsammlung Bührle!». Die Petitionär*innen werden angeführt vom Historiker Thomas Buomberger und dem ehemaligen Kunsthaus-Vizedirektor Guido Magnaguagno, den Herausgebern des «Schwarzbuch Bührle». Ihre Petition fordert primär, das Kunsthaus müsse ein unabhängiges Expert*innenteam damit beauftragen, in der Sammlung Bührle einen frei zugänglichen Dokumentationsraum einzurichten. Der Raum habe über Bührles Verflechtungen in Waffengeschäft und Kunsthandel zu informieren sowie darüber, wie Bührles «Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon» von Zwangsarbeit im Konzentrationslager Ravensbrück profitierte. Eine solche Petition sei überholt, meint Kunsthaus-Pressesprecher Björn Quellenberg: «Das Ausstellungs- und Sammlungskonzept für die Kunsthauserweiterung ist seit Jahren in der Planung.» Ein Dokumentationsraum «im Herzen der Sammlungsräume» sei sowieso in Umsetzung. Das Stadtzürcher Präsidialdepartement, das die Petition der «IG Transparenz» Mitte Januar entgegennahm, bestätigt dies.
IG hegt Misstrauen gegenüber Kunsthaus
Weshalb also wollten die Petitionär*innen noch «Licht in die Kunstsammlung Bührle!» bringen? «Weil wir aus Erfahrung eher misstrauisch sind gegenüber dem Kunsthaus», begründet dies Thomas Buomberger. Er und seine Mitstreiter*innen zweifelten daran, dass tatsächlich externe Expertise in den vom Kunsthaus kuratierten Dokumentationsraum einfliessen werde. Doch als Philipp Büttner, Kurator des Kunsthauses, der «IG Transparenz» Mitte Februar ein Konzept und Pläne zukommen liess, war Buomberger «positiv überrascht»: Das Kunsthaus plant für die Aufarbeitung im zweiten Stock des Chipperfield-Baus einen gut 80 Quadratmeter grossen Raum. Das Konzept sieht ausserdem einen zusätzlichen «Einleitungsraum» vor und Bildtexte, verteilt auf den ganzen Ausstellungsbereich, sollen die Geschichte der Sammlung und deren Herkunft thematisieren. «Uns überrascht der offenkundige Wille der Verantwortlichen, die Hintergründe der Sammlung Bührle darzustellen», sagt Buomberger. Lange war er nämlich überzeugt gewesen, dass das Kunsthaus «die ganze Bührle-Geschichte» möglichst diskret handhaben und später vielleicht sogar einmal die Einheit der Sammlung auflösen wolle.
Forschungsbericht weist Lücken auf
Buombergers Vorbehalte gegenüber dem Kunsthaus sassen tief, er befasst sich seit rund 30 Jahren mit Raubkunst und hatte seit 20 Jahren regelmässig Forderungen ans Kunsthaus Zürich gestellt. Nun endlich scheint es mithilfe der Persona Bührle gelungen, eine breitere Öffentlichkeit für die Thematik des Fluchtguts zu sensibilisieren – gemeint sind damit Kunstwerke, die verfolgte Jüd*innen in die Schweiz brachten. «Die Debatte um Bührles Erbe und die Einrichtung des Dokumentationsraums sind für mich auch eine gewisse Genugtuung», räumt Thomas Buomberger ein. Aber auch gegenüber dem Forschungsbericht von Leimgruber, der die Basis liefert für die Dokumentation im Kunsthaus, hegt Buomberger teils Skepsis: Die historische Arbeit sei fundiert, doch fehle einiges – unter anderem eine Analyse der Umstände, unter denen Bührle seine Werke kaufte und verkaufte. Die Stiftung Bührle veröffentlichte 2017 eine Liste mit Erwerbs- und Ausstellungsdaten, Verkäufen und Publikationen aller 600 Bilder, die Bührle je gekauft hat. Doch Buomberger bezweifelt, dass die Leitung der Bührle-Stiftung unabhängig von der Familie agiert. Er schliesst nicht aus, dass weitere belastete Gemälde in der Bührle-Sammlung schlummern.
«Die Leute fordern immer mehr Transparenz. Aber im Fall Bührle gibt es bereits viele wichtige Schritte in diese Richtung. Die Menschen schauen sich nur selten die Resultate an», sagt Leimgruber. Ihm gibt das prinzipielle Misstrauen der «IG Transparenz» zu denken. Auch moniert er, der prüfende Blick der Öffentlichkeit liege zu sehr auf Emil Bührle als Einzelperson. Die Zürcher Kunstgesellschaft sowie die finanzielle Elite der Stadt hätten Bührle integriert: «Ohne diese Verflechtungen mit anderen Akteur*innen wären seine Sammlung und seine prominente Stellung als Sammler und Kunstförderer nie möglich geworden.»
Für Leimgruber als Sozial- und Wirtschaftshistoriker steht Bührle repräsentativ für eine Epoche. Auch in Bezug auf den Dokumentationsraum fordert er einen gesamtheitlicheren Blick. «Eine Dokumentation über den Zürcher Kultur- und Museumsstandort während den bewegten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wäre interessanter», meint er. Das Zürcher Kunsthaus, Bührle und dessen Raubkunst – das seien wichtige Dimensionen der Geschichte, aber nicht die einzigen.
Bührle ist die Schlüsselfigur
Verschiedenste Schweizer Museen sowie private Sammler*innen profitierten in den 1950er-Jahren vom Krieg: Sie vergrösserten ihr Ausstellungspotenzial auch deshalb, weil ausländische Sammler*innen aus Sicherheitsgründen ihre Sammlungen in der Schweiz deponierten. In der Nachkriegszeit befanden sich Gemälde auf dem Kunstmarkt, die ohne Kriegs- und Verfolgungssituation nie zum Verkauf gestanden hätten – obschon es sich nicht direkt um Raubkunst handelte. «Ich denke, man sollte Bührle immer in seinen beiden Facetten zeigen – inmitten von Gemälden, aber auch vor seinen Rüstungsgütern», so Leimgruber. Auch Buomberger würde es begrüssen, wenn mehr Forschung zu den Auswirkungen des Kriegs auf den Schweizer Kunstmarkt betrieben würde. «Doch um die Figur Bührle kommt man nicht herum.» Bührle finanzierte den Kunsthaus-Bau von 1958, bezahlte die Rodin-Plastik vor dem Eingang und schenkte dem Museum noch zu Lebzeiten einige Bilder aus seiner Sammlung. «Und dies alles, nachdem der Waffenfabrikant im Zweiten Weltkrieg zum reichsten Schweizer geworden war», betont Buomberger: «In diesem Fall ist Bührle schlicht die zentrale Figur. Und das Zürcher Kunsthaus ist auf alle Zeiten mit ihm verbunden.»