Studierende werden sich für Prüfungen im Januar trotz Coronavirus an den Irchel begeben müssen. Universität Zürich; Frank Brüderli

Studierende wehren sich gegen Präsenzprüfungen an der Uni

Online-Prüfungen haben sich seit letztem Semester als möglicher Leistungsnachweis bewiesen. Fast alle Fakultäten der Uni Zürich setzen deshalb während der Pandemie darauf. Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät hingegen setzt aus «Fairness» auf Präsenzprüfungen. Ist das Grund genug?

24. Dezember 2020

Die Prüfungsphase der Universitäten ist in vollem Gange. Während zahlreiche Studierende auch dieses Semester ihre Prüfungen online schreiben, gilt für viele andere trotz steigender Corona-Fallzahlen und trotz Verbot von Grossveranstaltungen Präsenzpflicht an den Prüfungen. So werden etwa im Januar Hunderte Studierende der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Zürich (MNF) in die Hörsäle strömen, um ihr Wissen zu testen. Das irritiert so manche angesichts der derzeitigen Entwicklung der Pandemie. Entsprechend viele Beschwerden und Rückmeldungen von besorgten und entrüsteten Studis sind beim VSUZH eingegangen. Geht die Fakultät mit den Corona-Schutzmassnahmen zu nachlässig um?

Gemäss Roland Sigel, Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät, reichen die bereits bestehenden Schutzkonzepte aus. Denn diese haben sich durch die ausbleibenden Ansteckungszahlen in den praktischen Modulen während des Herbstsemesters bewährt. Dies lässt er in seiner Antwort auf eine Stellungnahme des VSUZH, die beide der ZS vorliegen, verlauten: «Seit Beginn des Herbstsemesters 2020 kommunizieren wir durchgehend, dass, wenn es die Regeln des Bundes, des Kantons Zürichs und der Uni Zürich erlauben, wir Präsenzprüfungen durchführen werden.» Das sei in diesem Fall gegeben.

Wer die Regeln des Bundes befolgt, droht benachteiligt zu werden

Wer sich nun aber in Quarantäne begeben muss, oder freiwillig von der Prüfung fern bleibt, um andere nicht zu gefährden, kann den Leistungsnachweis erst im nächsten Semester oder gar in einem Jahr absolvieren. Ein Informationsschreiben der Fakultät informierte die Studierende ausserdem darüber, dass «keine speziellen Prüfungstermine für Studierende angeboten werden, die sich in Quarantäne befinden.» Die Fakultät empfiehlt deshalb lediglich «Ansammlungen und enge Kontakte bereits 2 Wochen vor der Prüfung zu vermeiden, um zu verhindern, dass Sie am Prüfungstermin in Quarantäne sind».

Diese Vorgehensweise ist für viele unverständlich. Wer die Empfehlungen des Bundes befolgt oder sich sogar auf ärztliches Anraten in Quarantäne begibt, dem droht nun ein Nachteil. Durch die verpasste Prüfung geht nicht nur Zeit verloren, die im nächsten Semester nachgeholt werden muss; es müssen möglicherweise auch noch anschliessende Fächer verschoben werden.

So müsste etwa Julia*, Studentin der Umweltwissenschaften im Nebenfach, ihre Prüfung im Fall einer Quarantäne oder Krankheit im Sommer nachholen, wäre aber eigentlich bereits in diesem Semester fertig mit ihrem Bachelor. Speziell vom Informationsschreiben zu den Prüfungen sei sie enttäuscht gewesen, wie sie gegenüber der ZS sagt: «Diese Empfehlung zeugt von einer äusserst engstirnigen Sichtweise. Denn Studierende, die wie ich im Verkauf arbeiten müssen, um sich selber zu finanzieren, können sich nicht isolieren.» So benachteilige die Fakultät Studierende, die der Risikogruppe angehören und Studierende, die sonst schon in eher prekären Situationen seien.

«Enttäuscht über die schlechte Kommunikation»

Alle Fachvereine der MNF haben deshalb am 16. November ein gemeinsames Statement verfasst und am 18. November eine Petition für «Faire Prüfungsbedingungen an der MNF-Fakultät» initiiert. Dank der Petition und dem wachsenden Druck von Studierenden ist am am 21. Dezember schliesslich ein Gespräch zwischen den Fachvereinen und Thierry Hennet, Studiendekan der MNF, zustande gekommen.

Simon Eschle, Präsident des Fachvereins Geographie und Erdsystemwissenschaften, empfand dieses Gespräch als klärend, ist aber noch nicht zufrieden: «Das Hauptproblem lag wohl in der Kommunikation der Fakultät. So haben wir beispielsweise erfahren, dass Ersatzprüfungen für alle im selben Semester vor allem an den fehlenden Kapazitäten der Dozierenden scheitern.» Denn die Fakultät habe gar nicht ausreichend Kompetenzen, um den Dozierenden vorzuschreiben, wie sie Ersatzprüfungen handhaben sollen. Wenn die Studierende nicht vor vollendete Tatsachen gestellt und sie über die Entscheidungsprozesse besser informiert worden wären, hätten die fehlenden Optionen von Anfang an besser nachvollzogen werden können, sagt Simon.

«Die Fakultät gewichtet die Gefahr, dass ein kleiner Anteil von Studierenden schummeln könnte, stärker als für alle zugängliche Prüfungen zu bieten. Für mich steht das nicht im Verhältnis zueinander.»
Simon Eschle, Präsident Fachverein Geoteam

Auch der VSUZH zeigt sich in seiner Stellungnahme «enttäuscht über die schlechte Kommunikation, welche mit der Ankündigung der Prüfungen vor Ort einhergegangen ist», wie die Co-Präsident*innen Pio Steiner und Isabel Leder an Roland Sigel schreiben. Der VSUZH teile die Sicht der Fachvereine. Der Schritt weg von den Onlineprüfungen sei wenig verständlich. Die Sicherheit der Studierenden stehe an erster Stelle, deshalb fordern sie, dass «sinnvolle Lösungen für Studierende in Quarantäne, zugehörig zu Risikogruppen und allen anderen Studierenden vorgeschlagen werden» und dass in Zukunft transparent kommuniziert werde.

Die Prüfungen werden unter «grösstmöglicher Fairness» abgehalten

Sigel betont in seiner Antwort gegenüber dem VSUZH zwar, dass, die Sicherheit der Studierenden an der Uni Zürich höchste Priorität habe. Gleichwohl fügt er hinzu: «Für uns ist es gleichzeitig ein grösstes Anliegen, dass alle Curricula für die Studierenden ohne Qualitäts- und Zeitverlust angeboten werden können. Dazu gehört aber auch, dass die Modulprüfungen unter Bedingungen der grösstmöglichen Fairness abgehalten werden.»

Aber können Ansprüche an Sicherheit, Qualität und Fairness während einer Pandemie überhaupt gleichermassen aufrechterhalten werden wie unter normalen Umständen? Und lässt sich Fairness tatsächlich nur durch Prüfungen vor Ort garantieren, auch wenn sie exkludierend wirken? Nicht zwingend, so Julia*: «Ich finde es schade, dass das Prüfungsformat vom ‹Auswendiglernen und genauso Wiedergeben› nicht einmal während einer Pandemie hinterfragt wird. Letztes Semester hat die kurzfristige Umstellung schliesslich auch für kreativere Formen von Prüfungen gesorgt.» Dies habe gezeigt, dass auch andere Arten von Leistungsnachweisen sinnvoll und fair sein können.

Keine Ersatzprüfungen für das erste und zweite Jahr

Dem stimmt teilweise auch Simon Eschle zu: Den Leistungsnachweis wo möglich anzupassen, sei sicherlich sinnvoll. Er denke aber nicht, dass dies für jedes Modul durchführbar sei. «Die Präsenzprüfungen befindet die Fakultät nach wie vor als einzige Möglichkeit, um Fairness garantieren zu können. Sie gewichtet somit die Gefahr, dass ein kleiner Anteil von Studierenden schummeln könnte, stärker als für alle zugängliche Prüfungen zu bieten. Für mich steht das nicht im Verhältnis zueinander», so Simon Eschle. Trotzdem scheint er positiv gestimmt, denn «das Studiendekanat bestätigt zumindest, sich dafür einsetzten, dass alle ihren Bachelor oder Master abschliessen können, sollten sie aufgrund der Corona-Situation einen Leistungsnachweis nicht absolvieren können.» Somit erhalten vor allem Studierende kurz vor dem Abschluss im dritten Bachelorjahr und im Masterstudium die Möglichkeit im Quarantäne- oder Krankheitsfall Ersatzprüfungen bei ihren Dozierenden einzufordern.

Für das Grundstudium im ersten und zweiten Jahr werden jedoch nach wie vor keine Ersatzprüfung angeboten. Das nicht ganz befriedigende Fazit aus dem Gespräch mit MNF-Studiendekan Thierry Hennet sei wohl, dass keine Pauschalaussage zu den Prüfungen gemacht werden kann und die jeweilige Entscheidung bei den Dozierenden liege. So sollten Dozierende den Studierenden so gut wie möglich entgegenkommen und allenfalls Ausnahmeregelungen für spezielle Situationen gewähren, um dieser ausserordentlichen Situation gerechter zu werden.

*Name der Redaktion bekannt