Nachgefragt: #6/20
Nachgefragt — Frau Sasse, sind Fake News ein neues Phänomen und wie lässt sich dieses verstehen?
Fake News sind so alt wie die Menschheit selbst, sie wurden nur immer wieder anders bezeichnet, etwa als Gerücht oder als Lüge. Ebenso alt ist die Bereitschaft der Menschen, an völlig unwahrscheinliche und abs-truse Behauptungen und Fiktionen zu glauben. Religionen und Ideologien sind in diesem Sinne Teil einer Kultur, die lehrt, sich etwas vorzumachen und die Realität dem Glauben oder der Überzeugung anzupassen. Recherchen in Geheimdienstarchiven in Osteuropa und die aktuelle Politik zeigen uns, wie sich Strategien der Desinformation – also der «organisierten Lüge», wie Hannah Arendt schon 1968 das Vortäuschen von Wahrheit nannte – vom Kalten Krieg bis heute verändert haben. Wesentliche Unterschiede liegen vor allem in den digitalen Verbreitungs- und Manipulationsmöglichkeiten.
Aber das allein ist nicht entscheidend. Fake News sind nicht erfolgreich, weil sie technisch perfekt ausgeführt sind. Und auch ein Algorithmus kann den Erfolg von Desinformation nicht allein erzeugen. Es sind nach wie vor rhetorisch, visuell und performativ geschickt präsentierte Inhalte, die die Wahrnehmung von Wirklichkeit verändern. Dabei geht es auch nicht nur um die eine perfekte Lüge, sondern – aktuell – um eine Art Metanarrativ: Um den Versuch, die Wahrnehmung von Realität und das Vertrauen in mediale und politische Instanzen so grundlegend zu erschüttern, dass auch Fakten nur noch als Meinungen gelesen werden sollen.
Sylvia Sasse ist Professorin für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.