Hochschulen rüsten gegen Prüfungsbetrug auf
Bei den Prüfungen im Frühjahrssemester wurde an der ZHAW besonders viel geschummelt. So wollen Hochschulen künftig Onlineprüfungen kontrollieren.
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat im letzten Semester überdurchschnittlich viele Disziplinarverfahren wegen unlauteren Prüfungsverhaltens eröffnet – und zwar gegen 148 Studierende. Am 19. November waren 76 Verfahren bereits erledigt. Auf Anfrage erklärt die ZHAW, dass die meisten dieser Fälle mit der mildesten Massnahme, dem schriftlichen Verweis, bestraft wurden. «Es gab in einzelnen Fällen aber auch härtere Sanktionen», heisst es bei der Medienstelle. Die härteste mögliche Massnahme ist der endgültige Ausschluss vom Studium.
Auch Lea* sah sich in den letzten Monaten mit einem Disziplinarverfahren konfrontiert. «Als ich von den Dozierenden benachrichtigt wurde, konnte ich es fast nicht glauben», erzählt sie. Sie schrieb mehrere Prüfungen mit einem Freund zusammen und ist deshalb aufgeflogen. Sie hatten teils identische Antworten zur exakt gleichen Zeit eingetippt und waren über die gleiche IP-Adresse verbunden. Sie gaben schliesslich zu, geschummelt zu haben. Doch vom anfänglichen E-Mail im Juli bis zum Bescheid über die getroffene Massnahme dauerte es über vier Monate. Erst Mitte November erhielt sie schliesslich doch noch den Bescheid: ein schriftlicher Verweis. «Ich hoffe, dass ich nie wieder mit einem Disziplinarverfahren zu tun haben muss», sagt sie.
Grosse Dunkelziffer
Gemäss Recherchen der ZS wurden aber viele Studis, die bei den Prüfungen auch gemogelt haben, nicht erwischt. Ganze Lerngruppen lösten die Prüfungen gemeinsam und kommunizierten dabei beispielsweise über Zoom. Tatsächlich wurden aber nur diejenigen bestraft, deren Dozierende die Antworten und die IP-Adressen auf Betrug hin verglichen haben. Auch Lea meint: «Es gibt bestimmt eine grosse Dunkelziffer an Leuten, die beschissen haben, aber nicht erwischt wurden.»
Kontrolle bei Onlineprüfungen
Die ZHAW hatte aber keine Wahl. Sobald die Dozierenden einen Verdacht schöpften, musste der Rektor gemäss Verordnung zum Fachhochschulgesetz ein Disziplinarverfahren eröffnen. «Liegt ein Verdacht vor, muss die ZHAW ein Verfahren einleiten und bei einer Unredlichkeit eine der vorgesehenen Sanktionen verhängen», wird auf Anfage bestätigt. Will man damit ein Exempel für alle Studierenden statuieren? «Eine Sanktion hat sicher teilweise auch eine abschreckende Wirkung.» An der Fachhochschule befürchte man allerdings nicht, falsche Geständnisse von unschuldigen Studierenden erwirkt zu haben: «Die Geständnisse wirkten glaubwürdig und waren stimmig im Verhältnis zu den bereits klaren Indizien», so die ZHAW. Auch an der Uni Zürich fanden die Prüfungen mehrheitlich online statt und auch da gab es wegen unlauteren Prüfungsverhaltens mehr Verfahren als üblich. An der ETH hingegen fanden nur 15 Prozent der Prüfungen online statt und es gab auch nicht mehr Mogeleien als üblich. Doch die Kontrolle der Studis bei Onlineprüfungen wird weiterhin ein Thema bleiben. Denn auch im Herbstsemester 2020 sollen viele Prüfungen an den Hochschulen online als Remote-Prüfungen durchgeführt werden.
«Es war einfach zu schummeln»
Uni und ETH Zürich setzen auf sogenanntes «Proctoring», also Video- oder Tonüberwachung, aber ohne Aufzeichnung. Die ETH teilt auf Anfrage mit, auf Zoom-Proctoring mit Video und Ton zu setzen und die Uni erklärt, dass «milde Formen der Onlinekontrolle» möglich seien. Auch die ZHAW lässt verlauten: «Das Online-Proctoring ist eine Chance für mehr Sicherheit und Fairness, und gleichzeitig betreten die allermeisten Hochschulen damit Neuland.» Man plane einzelne Prüfungen auf freiwilliger Basis mit Proctoring durchzuführen und werde die Erfahrungen auswerten.
Studierende der ZHAW hatten im Oktober eine Petition gestartet mit der Aufforderung, die laufenden Disziplinarverfahren einzustellen. Die Onlineprüfungen seien «eine Herausforderung für Dozierende und Studierende» gewesen. Ohnehin hätten sich Studierende im von Corona geprägten Semester vermehrt in Lerngruppen zusammengetan, was die oft ähnlichen Prüfungslösungen erkläre. Auf Anfrage nimmt die ZHAW die Petition lediglich «zur Kenntnis».
Disziplinarverfahren hin oder her: «Man konnte bei diesen Prüfungen sehr einfach schummeln. Alle Menschen versuchen erfolgreich zu sein und Nischen zu finden», findet Lea. Die Studierenden seien dabei wohl gut beraten, sich mit einem VPN zu verbinden. Trotz allem meint Lea: «Ich weiss nicht, ob ich nicht mehr bescheissen werde, aber ich würde jedenfalls besser bescheissen. Bei einer künftigen Onlineprüfung kann ich mir auch vorstellen, eine Fachperson heranzuziehen – ich möchte ja die Prüfungen bestehen.» ◊
*Name der Redaktion bekannt