Die Kochlehrerin, die Nonne und die Leitering der Haushaltschule schliessen sich der Revolte an. Carole Bethuel, Les film du kiosque

Revolte in der Haushaltsschule

26. Oktober 2020

Film — Französische Provinz um 1967: Paulette Van der Beck (Juliette Binoche) führt ein höchst traditionelles Leben. Sie ist seit Jahren verheiratet und leitet eine renommierte Haushaltsschule. Dort lehrt sie jugendliche Mädchen, wie man Tee einschenkt, putzt und eine angepasste, dienende Partnerin für den Gatten abgibt. Mit Paulette leben ihr Ehemann Robert (François Berléand), vor allem beschäftigt mit dem heimlichen Beobachten der Mädchen, und dessen Schwester Gilberte (Yolande Moreau), eine etwas naive, aber liebenswerte Dame und Kochlehrerin der Schule. Ausserdem haben sie eine strenge Nonne als Aufpasserin zur Seite.

Doch innerhalb kurzer Zeit bricht die trügliche Idylle zusammen – Robert Van der Beck erstickt beim gemeinsamen Abendessen mit den Schülerinnen und die Frauen sind plötzlich auf sich allein gestellt. Von der Bank erfahren sie, dass Robert das ganze Vermögen der Schule verspielt hat. Ausserdem entpuppt sich der zuständige Bankier als Paulettes Vorkriegs-Jugendliebe André Grunvald (Edouard Baer) und zwischen den beiden entfacht eine neue Romanze. Die Schulmädchen sind derweilen erfasst vom Geist der späten 60er-Jahre und beginnen sich gegen die konservative Vorstellung der Frauenrolle und für gleichgeschlechtliche Liebe einzusetzen. Es dauert nicht lange, bis da Paulette Zweifel an ihren eigenen Idealen aufkommen.

Regisseur Martin Provost versteht es ausserordentlich gut, Witz mit bitterem Ernst zu kombinieren. Paulettes absurd korrektes Auftreten hindert ihn nicht daran, auch die Begrenztheit der damaligen Frauenrolle und die damit verbundene Tragik zu zeigen. So liefert er seine Figuren nie ganz der Lächerlichkeit aus. Dass dies so gut gelingt, liegt auch an der grossartigen Arbeit vieler Schauspieler*innen, darunter Hauptdarstellerin Juliette Binoche, die sämtliche Facetten menschlicher Gefühle zu bedienen weiss. Auf die Frage der ZS, wie sie es schaffe, so vielseitig zu sein und trotzdem einem Charakter treu zu bleiben, antwortet sie: «Das ist immer eine Herausforderung bei Komödien – man will Tiefe erreichen und gleichzeitig ‹Klavier spielen› als wäre es ganz leicht. Als Schauspielerin muss man halt alles können. Ich habe aber während den Dreharbeiten auch meinen Vater verloren. Das war hart und trug zum dunkleren Teil von Paulettes Charakter bei. Das Spielen im Film dagegen gab mir eine gewisse Leichtigkeit. Die verschiedenen Ebenen der Geschichte vermischten sich so mit denen meines Lebens.» Doch nicht nur Erwachsene brillieren, beeindruckend ist auch die Darstellung einer Liebe zwischen zwei Mädchen, die an Hemmungen der einen zu scheitern droht. Diese Hemmungen werden nie angesprochen oder benannt – natürlich handelt es sich um die Angst, gegen damalige Normen zu verstossen –, sie werden nur durch Handlungen und Blicke gezeigt.

In «La bonne épouse» bleiben die Frauen ihrer Situation nie ausgeliefert, sondern übernehmen das Ruder und erheben sich über enge Vorstellungen ihrer Zeit. Der Mädchen-Revolte schliessen sich nach anfänglicher Entrüstung auch Paulette und Co. an. Gegen Ende des Films verwandelt sich die strikte Haushaltsschule und macht Platz für ein farbenreiches, selbstbestimmtes Leben. «La bonne épouse» zeigt innere und äussere Frauenkämpfe der 60er-Jahre, spickt aber alles mit Humor und lässt die Protagonistinnen schliesslich gemeinsam triumphieren. Ein durchwegs empfehlenswerter Film.

«La bonne épouse» kommt am 29. Oktober in die Deutschschweizer Kinos.