Marin Stojanovic

Die brutale Welt der Betonburgen

Plattenbauten haben einen schlechten Ruf. Ein Appell für ein Comeback.

26. Oktober 2020

«Es ist uns zu Ohren gekommen, dass die Neu-Belgrader*innen vier von ihren Hochhäusern als ‹Die vier Idioten› bezeichneten. Während wir uns umsehen, können wir sie nicht identifizieren. Für uns kämen alle in Frage.» Mit diesen Worten fasste der Schriftsteller Dušan Duško Radovic die «Gleichmacherei» der Bauplanung in Neu-Belgrad zusammen, die Betondschungel, die man stark mit Städten aus den Ländern des Warschauer Pakts assoziiert. Doch kann man die gleichen vorangefertigten Fassaden in den Trabantenstädten oder in den Banlieues sehen. Auch in Zürich sind die brutalen Monumente überall: vom gentrifizierten Lochergut über Grünau bis zum Corbusier-inspirierten Unter-Affoltern. Während die Plattenbauten im Westen stark als «Problemviertel» behandelt wurden, wurden sie im Osten als Errungenschaft des Sozialismus gefeiert. Das Leben in den Neubauten ist nicht luxuriös. Aber es ist eine effektive Art, alle mit Wohnungen zu versorgen - besser, als obdachlos zu sein. Heute, wo neue Apartments in der Europaallee für enorme Summen verkauft werden, fehlt es in Zürich an bezahlbarem Wohnraum. Zeit, dass die Arbeiterschliessfächer ein Comeback erleben.