Nicoletta Brazzola, Ulrike Proske und Leon Beck (von links nach rechts) fordern Divestment der ETH. Nuria Tinnermann

Studis fordern erdölfreie ETH-Finanzen

Weltweit bekennen sich Unis zu Divestment. Hierzulande hat sich nicht viel bewegt. Studis ziehen nun die ETH zur Verantwortung.

25. Oktober 2020

Am Freitag, den 3. Oktober, landete in den Postfächern des ETH-Präsidenten Joel Mesot, der Investment Commission und der ETH Foundation ein unscheinbares E-Mail. Im Anhang befand sich ein Schreiben, das den Rückzug sämtlicher Gelder aus fossilen Energien fordert. Unterstützt wird das Anliegen von Studierendenorganisationen wie dem VSETH, dem AVETH, der SSC, der NHW oder der Studierendengruppe des Klimastreiks Zürich. An der ETH sind damit circa 80 Prozent der Studierenden abgedeckt. Leon Beck, Ulrike Proske und Nicoletta Brazzola sind Teil der Arbeitsgruppe, welche die Forderungen erarbeitet hat. Die Hochschule solle nicht nur ihre Mittel aus Unternehmen zurückziehen, die mit fossilen Energien arbeiten. Ihre Anlagen und ihre Kriterien sollen transparent werden, die ETH solle sich auch öffentlich zu Divestment positionieren und bis zur Nachhaltigkeitswoche im März 2021 einen Aktionsplan ausgearbeitet haben.

Verantwortungsvolle Investitionen

Von Divestment spricht man, wenn Investitionen, die aus ökologischen und ethischen Gesichtspunkten problematisch sind, zurückgezogen und neu nachhaltig platziert werden. Nicht-staatlichen Organisationen und aktivistischen Gruppierungen führen Divestment-Kampagnen in Ländern wie Deutschland, England und den USA schon seit Jahren. Pensionskassen und Institutionen werden dadurch öffentlich unter Druck gesetzt. Denn deren Investitionen in Aktien und andere Vermögensanleihen generieren zwar Einnahmen, finanzieren aber mit den investierten Summen gleichzeitig bestimmte Branchen. Die geforderten Neuinvestitionen sollen die Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft vorantreiben und an Machtstrukturen rütteln, von denen oft umweltschädliche Branchen profitieren.

Schweizer Hochschulen hinken hinterher

Aber warum betrifft das eigentlich auch Hochschulen? Ulrike Proske beantwortet dies folgendermassen: «Eigentlich fordern wir einfach eine konsequent nachhaltige Positionierung der ETH. Sie hat zwar eine Nachhaltigkeitsstelle, mit der sie sich stark engagiert. Wirft man aber einen Blick auf die Geldflüsse der ETH, hört die Konsequenz dort auf.» Die Klimaforschung der ETH sage klar, dass fossile Energien keine Zukunft haben. Indem die ETH aber weiterhin darein investiere, werde sie diesen Erkenntnissen nicht gerecht, stellt Ulrike fest. Wichtig sei ausserdem auch das Signal, das eine international renommierte Hochschule sendet: «Würde sich die ETH positionieren, wäre dies nicht nur für andere Unis ein starkes Zeichen, sondern auch für den Schweizer Finanzplatz.»

«Die ETH unternimmt noch nicht das Maximum.» Robert Perich, Vizepräsident
Finanzen ETH

Im Vergleich zu Ländern wie der USA und England hinken Schweizer Hochschulen beim Divestment noch hinterher. Trotzdem tut sich auch in der Schweiz etwas: «Die Uni Lausanne hat ihre gesamten Gelder in ein nachhaltigeres Portfolio transferiert, das Kohleunternehmen ausschliesst», erzählt Nicoletta Brazzola begeistert. Studierende anderer Hochschulen wie der UZH arbeiten ebenfalls an eigenen Forderungen und vernetzen sich zunehmend miteinander. Und auch andere Institutionen gehen bereits erste Schritte: Vor zwei Jahren haben sich 128 Professor*innen der ETH mit Divestmentforderungen an die eidgenössische Pensionskasse Publica – also auch die Pensionskasse der ETH – gewandt. Sie ist seither aus Investitionen in Kohleunternehmen ausgestiegen. Die Divestment-Gruppe der Studierenden fordert nun eine klare Positionierung der ETH.

Rückzug statt Reduktion fossiler Gelder

Ihre Forderungen betreffen sämtliche Geldflüsse der ETH. Dabei gehe es nicht nur um die Investitionen der ETH, sondern auch um die Gelder der ETH Foundation, die Drittmittel und das Geld vom Bund, so Leon Beck. Wichtig sei also, woher die Mittel kommen, auf welchem Konto sie liegen und wo sie investiert werden. «Deshalb sind unsere Forderungen auch breit formuliert. Wir fordern nicht nur Divestment. Denn bei der ETH kommt der Grossteil des Geldes direkt vom Bund», erklärt er.

Bei einem Jahresbudget von 1.7 Milliarden sei es auch relevant, auf welchem Konto sich diese Geldsummen befinden würden. «Ausserdem soll die Finanzabteilung nicht nur graduell nachhaltiger werden. Es soll nicht mehr möglich sein, auch in das nachhaltigste Flugunternehmen zu investieren», verlangt Ulrike Proske. «Deshalb fordern wir auch den totalen Rückzug von Investitionen in fossile Energie und geben uns nicht mit einer Reduktion zufrieden.»

Die ETH gibt sich gemässigt

Robert Perich, Vizepräsident Finanzen und Controlling der ETH, sieht das anders: «Mir ist der Ansatz ‹fossil free› zu eng.» Momentan verfolge die ETH den «Environmental, Social and Governance»-Ansatz, ein Investitionsansatz, der diverse Nachhaltigkeitskriterien berücksichtige. «Langfristig ist das Ziel, aus fossilen Energieträgern auszusteigen, unumgänglich. Wenn wir dies aber nun radikal machen, kollabiert unsere Wirtschaft.» Dies sei nicht die einzige Problematik: «Als öffentlich-rechtliche Institution haben wir beschränkt Drittmittel, die wir investieren können. Im Vergleich mit grossen Pensionskassen wie der Publica sind wir mit unseren 300 Millionen Franken, die wir am Markt angelegt haben, ein 135 Mal kleinerer Player», argumentiert er. Das bestehende Angebot an nachhaltigen Finanzprodukten könnten sie deshalb nur schwach beeinflussen und müssten sich nach den Produktangeboten der Banken richten.

Das Potential ist noch nicht ausgeschöpft

«Die ETH unternimmt in Punkto Nachhaltigkeit bereits einiges, im Bereich nachhaltiger Investitionen ist es jedoch sicherlich noch nicht das Maximum», räumt Robert Perich ein. Die Anlagen der ETH befinden sich grösstenteils bei der UBS und werden dort in Form eines passiv verwalteten Vermögensmandats angelegt. Auf die Frage, ob man nicht bei nachhaltigen Banken anlegen könne, schüttelt er den Kopf: Sie hätten aufgrund rechtlicher Vorschriften und ihres ausgedehnten Forderungskatalogs begrenzte Auswahl. Trotzdem: Bestimmte nachhaltige Investitionsprinzipien würden berücksichtigt. «Sämtliche Anlagen unterliegen der Ausschlussliste des Schweizer Vereins für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen.» Deren Ausschlussempfehlungen beinhalten mehrheitlich ausländische Waffenfirmen und berücksichtigen somit die Menschenrechte. Daran halten sich aber mittlerweile schon die meisten Schweizer Banken.

«Es fehlt der ETH noch an Eigeninitiative. Denn Produkte für passiv verwaltete Vermögen werden durchaus schon angeboten, wie beispielsweise durch die Ethos Stiftung», argumentiert Leon Beck. Der Wille sei zwar vorhanden, es brauche aber noch mehr Engagement, das würden auch die genannten ESG-Kriterien zeigen: «ESG-Faktoren sind nicht fest definiert, man kann sich also sehr schnell damit schmücken, ohne Veränderungen vornehmen zu müssen.» Deren Erwähnung besage lediglich, dass man sich mit den drei Themen beschäftige, es sei aber kein Gütesiegel. Deshalb brauche es Druck von aussen. «In Zukunft müssen aber auch vermehrt Drittmittel und deren Herkunft unter die Lupe genommen werden», findet Leon Beck. Die ETH weite dies seit Jahren immer stärker aus. Mittlerweile betragen sie beinahe 25 Prozent des Gesamtbudgets. «Deshalb wird auch die Frage, wer unsere Hochschulen finanziert, immer relevanter.»