Zwei Künstler archivieren Gletscher im Kein Museum
Die audiovisuelle Mehrkanalinstallation «*gel- [ein Gletscherarchiv]» im Kein Museum in Wollishofen besticht durch raffinierte Ambiguitäten und ironisierte Gegensätze. Die Ausstellung regt die Betrachter*innen zum Denken über die Klimaerwärmung und das Schmelzen der Gletscher an.
Zu sphärischen Klängen laufen verschiedenste Gletscher-Aufnahmen über die Bildschirme. Die Videos bleiben vom Farbschema her immer gleich; weiss, grau, dunkelblau, schwarz. Sie sind entstanden auf Reisen nach Südpatagonien, in die Antarktis und in die Schweizer Alpen. Hier sticht einem sofort das Gegensätzliche ins Auge; während einigen Augenblicken sehen wir unbewegliche Momentaufnahmen des ewigen Eises, ewig ruhend, schlummernd. Die nächste Einstellung zeigt das langsame aber stetige Wegrutschen eines Eisbrockens vom Gletscher; die Bilder spielen mit dieser Zweideutigkeit, mit dem Schnellen der Ströme und dem Behäbigen der Gletscherlandschaft, sie relativieren die mythische Ewigkeit der Gletscher, indem sie sie kontrastieren mit dem Abbruch, dem Umbruch, dem Wegbruch.
Im Gespräch mit Gerome Johannes Gadient, Verantwortlicher für die Soundinstallation von «*gel- [ein Gletscherarchiv]», stellt sich heraus, dass die Klangkulisse nicht etwa aus beliebigen Tönen besteht, sondern bei den Gletschern selber aufgenommen wurden. «Einige Aufnahmen habe ich im Original belassen, andere wiederum wurden digital verändert, weiterentwickelt, daraus ist eine ganz eigene Sprache der Gletscher entstanden – ich habe mich während der Arbeit als Übersetzer dieser Geräusche gefühlt», sagt Gadient.
Ein schmelzender Eisblock mitten im Raum
Das Herzstück des kleinen Raumes im Kreis 2 ist ein grosser Eisblock, majestätisch thront er in seiner Plastikbox, von unten in wechselnden Farben beschienen ist er die einzige Lichtquelle des Raumes. Nur einen Haken hat das schöne Spiel: Der Eisblock schmilzt. Stetig läuft das Wasser ab in einen Behälter, der am Abend der Vernissage, eine Stunde nach Türöffnung, bereits zu einem Drittel voll ist mit Wasser. Es ist schön anzusehen, das Eis. Aber es schmilzt halt seiner Natur entsprechend, wenn es nicht kühl genug ist im Kein Museum, oder im Wallis, oder in der Antarktis.
Im Kein Museum werden Aufnahmen von Gletschern in Patagonien, in den Alpen und in der Antarktis gezeigt. (Foto: Kein Museum)
«Gletscher sind, vor allem auch in der Schweiz, ein Sinnbild für den Klimawandel, sie machen diesen deutlich sichtbar, während viele andere Klimaphänomene nicht so offensichtlich erkennbar sind», meint Janis Lionel Huber, der für die künstlerische Leitung, das Raumkonzept und die Videoinstallation verantwortlich ist. «Mich interessiert die Vorstellung vom ewigen Eis, die offensichtlich nicht so ewig ist, wie einst gedacht. Ich frage mich deshalb auch: Wie medialisieren und archivieren wir Gletscher?»
Die Doppeldeutigkeit des Archivierens
Die Ausstellung möchte mit potenten Bildern und Symbolik zeigen, wie es heute steht um die Gletscher und zugleich auch Zukunftsszenarien entwerfen; das geschmolzene Wasser im Plastikbecken, die Töne und Sprache der Gletscher, die wir in naher Zukunft zu verstehen suchen müssen. Sie zeigt in diesem Rahmen auch die Doppeldeutigkeit des Archivierens auf: Einerseits haben wir den Gletscher als natürliches Archiv, der Knochen und Relikte von vor unserer Zeit in sich abspeichert, andererseits haben wir das menschliche Streben nach Präservierung und Bewahren des Gletschers seinerseits, das in dieser Ausstellung selbst zum Tragen kommt.
Eine gelungene Installation, die auf kleinem Raum grosse Spannungsfelder aufzeigt.