People of Colour und Schwarze Personen sind als Studierende, Lehrende und Forschende unterrepräsentiert. Sumanie Gächter

«Unis reproduzieren ein weisses System»

Hochschulen sind seit jeher vorwiegend weisse Institutionen und tragen zur rassistischen Diskriminierung bei. Was ist zu tun?

20. September 2020

Ein Rechtsextremist an der ZHdK oder die Diskriminierung von Asiat*innen auf dem ETH-Campus während Coronazeiten sind Ereignisse, die Diskriminierung und Rassismus im Hochschulkontext plötzlich in den medialen Fokus rücken. Dabei ist Diskriminierung an Hochschulen eigentlich ein alter Hut (siehe ZS 6/19). Dem Bericht der Fachstelle für Rassismusbekämpfung 2018 zufolge erleben Teilnehmer*innen ihrer Studie rassistische Diskriminierung im Lebensbereich «Schule/Studium» am zweithäufigsten, direkt nach dem Arbeitsalltag. Trotzdem ist die rassistische Diskriminierung an Hochschulen in der Schweiz weitgehend undokumentiert, Rassismusforschung an Hochschulen ist nach wie vor eine Nischentätigkeit und Diversitätsabteilungen sind weit davon entfernt, anti-rassistische Sensibilisierung voranzutreiben. Doch welche Rolle spielen Hochschulen, theoretisch neutrale Stätten der Wissensproduktion, in der Reproduktion von Rassismus?

Weisse Bildungsinstitutionen

Emily Ngubia Kessé ist Neurowissenschaftlerin mit sozialpolitischem Fokus. Sie forscht in Berlin zu rassistischen und sexistischen Praktiken der Wissensherstellung und setzt sich für die Aufdeckung von rassistischen Strukturen an Hochschulen ein. Denn: «Hochschulen waren lange Zeit ein Instrument, um Rassentheorien in der Gesellschaft zu verbreiten. Heute sind Universitäten vor allem Orte, an denen Weiss-sein im Mittelpunkt steht», stellt die Expertin fest. «Die Themen, die gelehrt werden, die Blickwinkel, aus denen Sachverhalte betrachtet werden, und die Personen, die unterrichten, repräsentieren und reproduzieren ein weisses System.» People of Colour und Schwarze Personen fühlen sich in der Auseinandersetzung mit rassistischen Studieninhalten und Alltagserfahrungen deshalb oft alleine gelassen.

Zwei Studentinnen des BIPOC (Black Indigenous People of Colour)-Kollektivs Zürichs kritisieren an ihrem Studienalltag vor allem die fehlende Auseinandersetzung in Studieninhalten und die Passivität ihrer Mitstudierenden. Josephine* studiert an der ZHdK und hält fest: «Der grösste Teil meines Studienganges besteht aus weissen Cis-Männern. In ihrem alltäglichen Leben sind sie nicht dazu gezwungen, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen.» Tauchen beispielsweise rassistische Inhalte in Filmen oder Bildern auf, würden diese gar nicht erst kritisch diskutiert, denn es fehle den meisten an Sensibilisierung. «So wird rassistischer Inhalt in Seminaren einfach unkritisch reproduziert.» Daria*, ebenfalls Studentin an der ZHdK, stimmt zu und ergänzt: «Es wäre schon ein Anfang, andere Theoretiker*innen zu lesen als weisse Männer. Sonst bleibt stets eine eurozentrisch geprägte Perspektive.»

Gleichstellungsabteilungen hinken hinterher

Für Sensibilisierungsarbeit an Hochschulen sind in der Regel Diversitäts- und Gleichstellungsabteilungen zuständig. Sie sollten Vorreiter*innen für die Behebung von diskriminierenden Strukturen sein. Lange Zeit hat sich, abgesehen von vereinzelten Plakat-Kampagnen, an den Zürcher Hochschulen nicht viel getan. Die ETH hat ihrer Medienstelle zufolge im Verlaufe des letzten Jahres jedoch einiges ins Rollen gebracht: So habe sie Schulungen, Aktionen und Podien zur Sensibilisierung durchgeführt. Erwähnt wird «Rassismus» aber mit keinem Wort, an der ETH dreht sich stattdessen alles um «den Abbau von Stereotypen». Die Uni bietet ihrer Gleichstellungsabteilung zufolge schon länger Weiterbildungen für Führungskräfte, in denen Rassismus thematisiert werde, sowie Workshops zu interkultureller Kommunikation an. Die ZHdK verweist auf Anfrage nach ihren Massnahmen lediglich auf ihr Leitbild, eine vergangene «Respect now»-Kampagne und einige Mittagsveranstaltungen zum Thema.

Ngubia Kessé fordert mehr: «Als erstes muss breitflächige Sensibilisierungsarbeit geleistet werden. Es sollte fester Bestandteil der Fortbildung von Lehrenden werden, einen Kurs zu Anti-Rassismus und Weiss-sein zu absolvieren. Nur so kann die unabsichtliche Reproduktion von Rassismus abgebaut werden.» Denn allzu oft werde Diversität nur als Inklusion gedacht und zu wenig über Machstrukturen oder Zugang zu Ressourcen geredet.

Rassismus nur spärlich erforscht

Um Strukturen von Institutionen zu verändern, brauche es erst wissenschaftliche Befunde, die Missstände anhand von Zahlen und Daten belegen. Diese fehlen jedoch weitgehend, erklärt Didier Ruedin, Forscher zu Rassismus und Diskriminierung am Institut für Schweizer Migrations- und Bevölkerungsstudien. Denn: Nicht nur Rassismusforschung ist in der Schweiz noch eine Seltenheit, auch rassistische Diskriminierung an Hochschulen ist in Studien weitgehend unbeachtet. Ruedin versucht Erklärungsansätze für die karge Datenlage zu liefern: «Es handelt sich eigentlich um ein kollektives Kopf-in-den-Sand-Stecken.» Wenn man nichts davon wisse, könne man auch so tun, als ob alles in Ordnung wäre, so Ruedin. «Studien machen die Problematik für viele Nicht-Betroffene erst ersichtlich. Diese Konfrontation erzwingt erst Handlung.»

«Es handelt sich um ein kollektives Kopf-in-den-Sand-Stecken.»
Didier Ruedin, Rassismusforscher

Eine Möglichkeit, mit welcher Hochschulen zur Sammlung von Daten und somit zu Transparenz beitragen könnten, wäre die Erhebung der Anzahl People of Colour an der eigenen Hochschule. Denn die Repräsentation von marginalisierten Gruppierungen in Institutionen sei essentiell, um diskriminierende Strukturen von innen abzubauen, so Ngubia Kessé. Gleichberechtigungspolicies stützen sich deshalb schon lange auf sogenannte «Monitorings», welche dokumentieren, wie viele Frauen* an Hochschulen welche Positionen innehaben. Die Datenerhebung zur Anzahl People of Colour werde jedoch an vielen Hochschulen noch sehr zurückhaltend gehandhabt, bestätigt die Medienstelle der ETH. Dass sich diese Praxis für andere Anliegen noch nicht etablieren konnte, hat verschiedene Gründe: «Seit dem zweiten Weltkrieg wurde ein grosser Bogen um Statistiken gemacht, die Ethnizität oder Hautfarbe als Kategorie integrieren. Dies aus Angst, dass diese Informationen missbraucht werden könnten», erklärt Ruedin. Weiter werde oft argumentiert, dass die Abfrage von dieser Gruppe Diskriminierung überhaupt konstruiere, so der Forscher. «Realität ist aber, dass Personen von Rassismus betroffen sind, da bringt uns ‹colour blindness› nicht weiter.»

Veränderung von unten

«Wir sind noch nicht am Punkt angelangt, an dem die Erhebung dieser Daten erwünscht ist», so Ngubia Kessé. Fehlende Repräsentation und fehlender Zugang zu Hochschulen sei gesellschaftlich noch nicht als ein Problem der rassistischen Diskriminierung erkannt worden, stellt die Wissenschaftlerin fest. Strukturelle Diskriminierung an Hochschulen zu bekämpfen, rüttle schliesslich immer auch an Machstrukturen. Ebendieses Rütteln erscheint auch den beiden BIPOC-Aktivistinnen wie eine Herkulesaufgabe: «Solange der Zugang für Schwarze Personen erschwert bleibt und solange sich Studierende nicht mehr politisch engagieren, erscheint mir Veränderung schwierig vorstellbar», stellt Daria* trocken fest.

Die Forderung nach Rassismusaufarbeitung müsse ebenso von unten kommen, findet Ngubia Kessé: «Deshalb ist auch Engagement von weissen Personen gefragt, die ihr Privileg nutzen, um soziale Gerechtigkeit für andere zu erreichen.» Aktivistinnen und Forschende sind sich einig: Damit sich etwas ändert, braucht es Zusammenarbeit. Dafür ist aber die allgemeine Erkenntnis unumgänglich, dass es sich bei der jetzigen Situation um einen Missstand handelt. Und so weit scheinen wir noch nicht gelangt zu sein.

*Name der Redaktion bekannt