«Medizinalhanf ist praktisch unerforscht»
Illegale Droge oder legales Heilmittel: Diese Ambivalenz macht es den Wissenschaftler*innen nicht leicht, Cannabis zu ergründen.
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Substanz in der Schweiz. In den letzten Jahren ist der Konsum sogar noch stark gestiegen. Breitgefächerte Verwendungsmöglichkeiten und sich häufende Berichte über erfolgreiche medizinische Behandlungen verleihen der Hanfpflanze Popularität. 2045 wird fast jede*r zweite Schweizer*in schon mal Cannabis konsumiert haben, so eine Studie der Uni Zürich und Uni Basel. Trotz grosser Resonanz kursiert über Cannabis viel Halbwissen, teilweise widersprechen sich Forschungsstudien gar. Wieso ist dieses feingliedrige Pflänzchen, das schon in der antiken Medizin als Heilmittel verwendet worden ist, noch so wissenschaftlich unberührt?
Cannabis ist nicht gleich Cannabis
«Zum illegalen Cannabis [das heisst zur Substanz, die den THC-Gehalt von 1 Prozent übersteigt] ist gerade im Zusammenhang mit Psychosen und Schizophrenie sehr intensiv und sehr teuer geforscht worden. Das Gebiet der medizinischen Verwendung [denn die Verschreibung von Betäubungsmitteln auf Cannabisbasis ist unter Umständen erlaubt] ist dahingegen praktisch unerforscht», sagt Michael Schaub vom Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung. So ist die Wirkung von Cannabisarzneimitteln für viele Anwendungen wissenschaftlich noch ungenügend belegt. Und das, obwohl die Substanzen durchaus für Behandlungen eingesetzt werden. «Schmerzpatienten, die inklusive schwerster Opiate alles probiert haben, sind teilweise auf Hanf angewiesen, weil es das Einzige ist, das ihnen hilft», so Schaub. Eine Studie, an der er beteiligt war, zeigte, dass der Konsum von Cannabis aus medizinischen Gründen bei 96 Prozent der Befragten zu einer wirkungsvollen Linderung etwa von chronischen Schmerzen führte. Doch die Bewilligungsverfahren des Bundes und die Qualitätsanforderungen für Medizinalhanf sind hoch, so wird denn auch auf den Schwarzmarkt zurückgegriffen.
Grund für die lückenhafte Forschung sind, wie so oft, wirtschaftliche Gründe. «Die Pharmafirmen haben kein Interesse, etwas zu erforschen, das ihnen selbst nichts bringt. Sie stecken lieber ein paar Millionen in ein Medikament und verlangen dann aber auch das mehrfache an Einnahmen zurück», sagt Schaub. Zudem ist Cannabis weiterhin eine illegale Droge und die Stigmatisierung noch nicht überwunden, was es für Patienten und die Forschung zusätzlich erschwert.
Und was ist mit Langzeitschäden
Hinsichtlich der Forschung zu Rauschcannabis sieht das ein wenig anders aus. Die meisten Drogenstudien kommen aus den USA, dort werden beträchtliche Gelder gesprochen. Allerdings wird in den USA Cannabis vor allem pur geraucht und entsprechend aufbereitet – im Gegensatz zur Schweiz, wie den meisten europäischen Ländern, wo Cannabis mit Tabak vermischt als Joint geraucht wird.
«Die Wirkung von Cannabis in Zusammenhang mit Tabak wird seit jeher unterschätzt», sagt Schaub. Das Risiko, dass man tabakabhängig wird, wenn man ab und zu eins kifft, sei eines der unmittelbaren Hauptrisiken, mit dem dann die massiven Langzeitwirkungen der Tabakabhängigkeit mit einher gingen. Erhöhtes Krebsrisiko, Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Störungen werden deshalb als Begleiterscheinungen genannt. Dieser Befund sei wissenschaftlich unbestritten, doch werde er öffentlich kaum diskutiert.
Ein Grossteil konsumiert Cannabis über einen begrenzten Zeitraum und hat keine Probleme mit unerwünschten Wirkungen der Droge, so Domenic Schnoz von der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs. Fachleute schätzten aber, dass etwa 16 Prozent derjenigen, die in der Jugend mit dem Cannabiskonsum begonnen hätten, cannabisbedingte Störungen entwickelten. «Das kann mit massiven Problemen verbunden sein und sich wesentlich auf den weiteren Lebensverlauf, die Gesundheit und das soziale Umfeld auswirken.» Rein was die physiologischen Veränderungen angeht, seien das aber minime Einflüsse, sagt Schaub. «Insbesondere kommt es wegen Cannabiskonsum nicht zu Langzeitschäden kognitiver Art.» Die Auswirkungen von häufigem Cannabiskonsum seien grösstenteils reversibel, ganz im Gegensatz zu Alkohol beispielsweise, der legal ist. Cannabis ist zwar illegal, aber eine vergleichsweise milde Substanz.
Die Gesellschaft schaut weg
Schaub bemängelt die Forschung in der Medizin, die oftmals zu kurz greife. Häufig würden bei jungen Erwachsenen, die wegen Cannabisabhängigkeit in Therapie sind, auch Depressionen oder Angststörungen entdeckt. Das sei aber nicht zwingend immer eine Folge des Cannabiskonsums, sondern das Kiffen habe da etwa ein unterschwelliges Problem verdeckt. «Symptome von fortgesetztem Cannabiskonsum und Depression sind nah verwandt», erklärt Schaub. Wegen einer Depression gebe man sich vielleicht dem Cannabis hin, letzteres wiederum verstärke die Depression. Die eigentliche Erkrankung sei dann nicht die Cannabisabhängigkeit, sondern die psychische Erkrankung an sich. Solche Aspekte würden in der Praxis oft vernachlässigt. Und die Gesellschaft schaue zu oft weg. Die hohen Anforderungen und der Leistungsdruck wiegten oft viel schwerer auf die Persönlichkeit als der Substanzkonsum und könnten gerade der Grund sein, dass man zur Droge greift.
Der Schwarzmarkt sorgt für Unsicherheit
Sorgen bereitet den Fachleuten der Schwarzmarkt. Dieser kennt ein relativ neues Phänomen: Eigentlich legales CBD-Gras wird mit einer Lösung von synthetischen Cannabinoiden versetzt, um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. «Weil es auf dem Schwarzmarkt keine Qualitätskontrolle gibt, wissen die Leute nicht, was sie kaufen», so Schnoz. Das mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Gras erhöhe das gesundheitliche Risiko für Konsument*innen stark. Cannabis sei grundsätzlich keine tödliche Droge. «Weltweit gibt es bisher keinen einzigen bestätigten Fall, dass jemand wegen Cannabiskonsum gestorben ist.» Künstliche Cannabinoide wirken aber bereits in geringer Dosis giftig, ein Gegenmittel gibt es bisher nicht. So sind im Zusammenhang mit synthetischem Cannabinoid europaweit bereits mehrere Todesfälle bekannt. «Das gibt dem Schwarzmarkt eine neue gefährliche Dimension», warnt Schnoz.
Suchtexpert*innen raten dringend ab vom Konsum von Cannabis aus unbekannter Produktion und die Wissenschaft befürwortet überwiegend eine kontrollierte Abgabe und ein reguliertes System für Anbau und Handel von Cannabis. Das würde nicht nur die Konsument*innen besser schützen, sondern auch die Forschung erleichtern, erklärt Schaub.