«Es ist völlig unbestritten, dass wir mehr Drittmittel für die Forschung brauchen.» Jonathan Progin

«Freie Meinungsäusserung darf den Betrieb nicht stören»

Michael Schaepman ist der neue Rektor der Uni Zürich. Im Gespräch erklärt er, wie die Uni mit dem Virus umgeht und wie er zu Strafen für Studis steht.

20. September 2020

Herr Schaepman, Gratulation zur Wahl zum neuen Uni-Rektor. Wie fühlt es sich an, dieses Amt während der grössten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg anzutreten?

Entspannter, als ich es erwartet habe. Und zwar aus zwei Gründen: Die Vorarbeit, also der Einstieg in die Pandemie, wurde bereits geleistet. Und das Zweite ist, dass wir uns mittlerweile daran gewöhnt haben, flexibler arbeiten zu müssen. Klar, es ist anstrengend und anspruchsvoll, aber das gehört zum Job.

Also viel anders haben Sie sich das gar nicht vorgestellt?

Doch, natürlich! Die Zeit, die die Diskussion um das Coronavirus absorbiert, geht auf ein zusätzliches Budget. Wir müssen alles viel genauer absprechen. Vorgestellt habe ich mir das schon anders. Aber wir haben keine Wahl. Der Umgang mit Covid-19 ist Teil unseres Alltags geworden.

Das gilt auch für Studierende, die nun im Lichthof oder auf den Gängen eine Maske tragen müssen. Wie sind Sie bei der Planung für das Semester vorgegangen?

Wir haben uns für einen hybriden Modus entschieden. Weil wir nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen in den Hörsälen zur Verfügung haben, werden die Dozierenden so viel wie möglich digital unterrichten. Aber das geht natürlich nicht für alle Vorlesungen und Seminare. Wir mussten also Prioritäten setzen und werden darum die Erstsemestrigen-Veranstaltungen physisch durchführen. Für frischgebackene Studierende ist es sehr wichtig, dass sie sich gegenseitig kennenlernen können.

Und was machen Sie, wenn es zu einem zweiten Shutdown kommt?

Dann werden wir den gesamten Unterricht digital weiterführen. Das ist natürlich nicht in unserem Interesse, weil der persönliche Kontakt wichtig ist. Und Praktika und Laborkurse können nicht virtuell durchgeführt werden. Aber wenn die Vorgaben so lauten, dann werden wir die Gebäude wieder schliessen.

Wird die Uni auch nach der Pandemie Online-Vorlesungen anbieten?

Wir werden sicher Lehren aus dieser speziellen Situation ziehen und uns fragen, wo digitale Lehrformen sinnvoller als Präsenzunterricht sind. Doch das wirft auch wieder neue Fragen auf: Wie können wir die Qualität der Ausbildung aufrecht-erhalten? Können alle Studierenden zuhause arbeiten oder nicht? Hat es an der Uni genug Arbeitsplätze für interaktive Online-Seminare? Solche Unklarheiten müssen wir aus dem Weg räumen, bevor wir auf mehr Online-Unterricht setzen.

Kommen wir zu Ihrer Wahl: Die hat zu Kritik geführt, weil nur Ihr Name auf der Liste stand. Was entgegnen Sie Ihren Kritiker*innen?

Der Universitätsrat hat die Möglichkeit, dem Senat, also den Professor*innen und den Ständen, nur eine Einerliste vorzulegen. Darum ist es keine Frage, ob das demokratisch oder undemokratisch ist. Es ist völlig legitim in diesem Prozess. Mir ist jedoch bewusst, dass sich viele eine Auswahl wünschen. Aber das Wahlverfahren kann ich als Kandidat nicht beeinflussen, das ist Sache des Universitätsrates und der Politik.

Wo klemmt es dann?

Ich bin mit einem relativ guten Stimmenverhältnis gewählt worden. Der Senat kann also offensichtlich zwischen meiner Person und dem Wahlverfahren unterscheiden. Aber klar, bei einer Zweierliste hätte man eine tatsächliche Auswahl. Ich glaube, die Uni hat viel mehr potentiell gute Kandidierende als Personen, die sich dann effektiv bewerben. Denn eine öffentliche Kandidatur hält viele davon ab, sich überhaupt aufzustellen.

Andere hätten sich gewünscht, dass zum ersten Mal seit den Achtzigerjahren wieder eine Rektorin die Uni Zürich vertritt.

Ich bin persönlich sehr der Meinung, dass es Zeit ist für eine Rektorin. Und ich werde alles daransetzen, dass das in Zukunft möglich wird. Aber eben: Ich bin nicht für das Wahlverfahren verantwortlich.

Würden Sie also bei einer Wahl zugunsten einer Frau zurücktreten?

Wenn in einem kompetitiven Verfahren eine Frau gewinnt, dann ist das die natürliche Konsequenz des Verfahrens. Einen solchen Entscheid müsste man sehr sorgfältig abwägen. Das Amt als Rektor macht man ja nicht einfach so, man muss dafür seine eigene Forschung praktisch aufgeben.

Sie sprechen die Forschung an: Sie sind Professor für Fernerkundung am Geografischen Institut. Können Sie kurz erklären, was Sie genau erforschen?

In meinem Team bauen wir zusammen mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der NASA neue Satelliteninstrumente, die das Licht messen, das von der Erde reflektiert wird. Man kann sich das als eine Art Fotokamera vorstellen. Und das können wir mittlerweile so gut, dass wir Pflanzenarten unterscheiden und so die Biodiversität messen können. Damit können wir sagen, was wo wächst und ob es zum Beispiel gefährdet ist.

«Es ist Zeit für eine Rektorin.»

Das müssen Sie jetzt alles aufgeben.

Ja, also fast. Ich gebe meinen Lehrstuhl auf. Aber mir ist eine gewisse Restzeit zugestanden worden, um die grossen Projekte mit der ESA und NASA weiterzuführen. Das sind jedoch weniger als zehn Prozent Arbeitszeit pro Woche.

Werden Sie das vermissen?

Selbstverständlich. Aber ich tausche das ja nicht gegen etwas Schlechtes ein.

Bleiben wir bei Ihnen: Sie haben vor ein paar Jahren eine eigene Firma gegründet. Welche Rolle wird die Erfahrung als Unternehmer in Ihrem neuen Amt spielen?

Mein Ziel ist, dass unsere Abgänger*innen für ihre Zukunft einen gleichberechtigten Entscheid zwischen Karrieren in einem öffentlichen Betrieb, einem Unternehmen oder als Forschende treffen könnnen. Bisher hat die Uni sehr viel Wert darauf gelegt, Abgänger*innen zu ethisch verantwortungsvollen Wissenschaftler*innen auszubilden. Man hat die anderen Aspekte eher vernachlässigt.

Ihr Vorvorgänger Michael Hengartner hat mehr Drittmittel und private Gelder für die Forschung an die Uni geholt. 2019 waren 22 Prozent des Uni-Budgets Drittmittel. In welche Richtung wird es mit Ihnen gehen?

Drittmittel sind sehr wichtig, weil sie Forschung erlauben, die sich sonst nicht finanzieren lässt. Dass wir mehr davon brauchen, ist also völlig unbestritten. Die Frage ist aber, unter welchen Bedingungen wir sie annehmen, damit die Forschungsfreiheit gewährleistet ist. Wir wollen möglichst viele kompetitive Drittmittel beim Bund oder bei der EU einholen, aber wir müssen auch bei privaten Stiftungen und Firmen anklopfen.

Schliessen wir mit etwas Aktuellem: Der VSUZH hat Rekurs gegen die neue Disziplinarverordnung eingelegt, die unter anderem Geldstrafen für Studis vorsieht. Wie positionieren Sie sich als neuer Rektor?

Ich stehe selbstverständlich hinter der neuen Verordnung. Unser Ziel ist, dass wir die Studierenden so ausbilden, dass die Uni keine Bussen aussprechen muss. Sie sollen lernen, dass ein ethisch korrektes Verhalten richtig ist, egal wie streng die Strafen sind. Frühere Hörsaalbesetzungen haben wir beispielsweise ohne Anwendung der bisherigen Verordnung über die Runden gebracht. An der Uni haben wir kein Problem mit freier Meinungsäusserung, solange sie den Betrieb nicht stört.

Also: Erlaubt ist, was nicht stört?

Ja, und das soll auch so bleiben.

Michael Schaepman ist seit August Rektor der Universität Zürich. Vorher war er während drei Jahren Prorektor Forschung. Er folgt auf Rektorin ad interim Gabriele Siegert, die die Uni nach dem Rücktritt von Michael Hengartner im Januar durch die Pandemie geführt hatte.