Dem Schweizer Hanf auf der Spur
Der CBD-Boom ist auch in Zürich unübersehbar, die Produkte allgegenwärtig. Wer züchtet die Pflanzen heran?
Im Aargauer Dorf Fischbach-Göslikon steht eine der grössten CBD-Produktionsstätten Europas, tausende Cannabis-Pflanzen stehen in verschiedenen Hallen unter grellen Lampen und verbreiten ihren typisch süssen Duft. Die Anlage und die Pflanzen gehören der Pure Holding AG, Muttergesellschaft verschiedener Firmen mit weiteren Sitzen in Zeiningen, Zug, Deutschland und Luxemburg. Die erste von ihnen Namens Pure Productions AG wurde 2016 von Stevens Senn und Nedzad Osmanbasic gegründet, inzwischen hat ihr Geschäft 65 Mitarbeiter*innen und expandiert weiter.
In der ersten Halle findet die vegetative Wachstumsphase statt, hier brennen die Lampen rund um die Uhr. In der zweiten Halle stehen die gewachsenen Pflanzen und bekommen 12 bis 18 Stunden Licht, während ansonsten Nacht simuliert wird. In einem dritten Raum stehen schwarze Zelte, in denen genetisch unterschiedliche Sorten herangezüchtet werden. Um die Nachbarn nicht mit dem intensiven Duft zu stören, wurde eine teure Lüftungsanlage eingebaut. Als wir draussen zum Auslass der Lüftungsanlage spazieren, kriegen wir dafür das gesamte Aroma der Pflanzen ab. Auf den umliegenden Feldern wird ebenfalls angepflanzt.
Schneller Aufstieg in der Branche
Lino Cereghetti führt uns durch die Anlagen in Fischbach-Göslikon und Zeiningen. Nach seinem Biologie-Bachelor an der ETH Zürich sammelte er Erfahrungen im In- und Ausland, bevor er seinen Agrarökonomie-Master begann. Über eine Mitstudentin bekam er Wind von dem CBD-Startup und bewarb sich auf einen Job, seit Anfang 2019 ist er mit Teil des Teams. «Zunächst habe ich mit einem Studentenjob neben dem Master begonnen und war Assistent von Stevens Senn, anschliessend übernahm ich die Funktion des Chief Operating Officer (COO) und arbeite nun seit über einem Jahr in einem 100-Prozent-Pensum für die Pure Holding AG.»
Lino Cereghetti steht auf der Hanfplantage nahe Fischbach-Göslikon im Kanton Aargau. (Bild: Sumanie Gächter)
Den Masterabschluss hat er vertagt. «Auch wenn ich ihn gern noch zu Ende machen würde, aktuell fehlt die Zeit, da mich der Job stark vereinnahmt», erzählt der 25-Jährige nachdenklich und stolz zugleich. Verständlich, denn die junge Branche ist aufregend und ständigen Veränderungen unterworfen. Die Forschung kommt immer weiter, die Produktionsbedingungen verbessern sich, und die Gesetzeslage im In- und Ausland passt sich ständig an und öffnet oder schliesst Märkte. Das macht es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Auch die Preise fluktuieren: Während ein Kilo CBD-Isolat, also reines CBD in Pulverform, letztes Jahr noch rund 6000 Franken kostete, ist es inzwischen noch ein Viertel davon.
Schweizer Standortvorteil für CBD-Firmen
Massgeblich für den Boom verantwortlich war eine Schweizer Gesetzesänderung, die den maximal erlaubten THC-Gehalt von 0,3 auf 1 Prozent erhöhte. «Derzeit haben wir einen Marktvorteil, weil wir in der Schweiz Pflanzen mit bis zu 1Prozent THC anbauen können, im Ausland liegt der Grenzwert meist bei 0,2 Prozent. Da THC und CBD in einem fixen Verhältnis zueinander stehen, haben wir derzeit den fünffachen Ertrag an CBD auf gleicher Fläche. Aber das wird nicht ewig so bleiben», weiss Cereghetti. Auch zum Boom beigetragen hat die prominente Geschichte von einem Mädchen aus den USA. CBD-Öl wurde bei der Behandlung ihrer Epilepsie eingesetzt und konnte die Anzahl ihrer Krampfanfälle von 300 in der Woche auf zwei bis drei im Monat reduzieren.
Auf dem Weg von Fischbach-Göslikon ins Zeininger Forschungszentrum machen wir an einem weitläufigen Feld halt. Hier stehen tausende genetisch diverser Pflanzen, die von Forscher*innen untersucht, phänotypisiert und in den eigenen Machine-Learning Algorithmus eingespeist werden. 25 Landwirte aus der Region sind an der Kultivierung der Cannabis-Felder beteiligt.
Pionierforschung zu Cannabis in Zeinigen
Der Pure Campus in Zeiningen ist beeindruckend. Einige der Cannabis-Pflanzen überragen unsere Köpfe um Längen und blühen nicht nur in Grün, sondern auch rötlich und lila. In den neu eingerichteten Labors begegnen wir den Forschenden und kriegen den hochtechnologischen DNA-Sequenzer zu sehen. Einige der Gebäude, durch die Cereghetti uns führt, stehen erst seit drei Wochen. In der Forschung hat das Zentrum in Zeiningen weltweiten Pionierstatus und kooperiert mit der ETH und der südafrikanischen Universität Stellenbosch. Als erste und bisher einzige haben sie das Pan-Genom der Cannabis-Pflanze entschlüsselt, konnten also ihre komplette DNA-Information abbilden. Ein solches Pan-Genom gab es bis anhin nur von den weltweit wichtigsten Nutzpflanzen, Mais, Reis, Weizen und Soja, nun auch von Cannabis. Zur gezielten Züchtung einer neuen Kreuzung genügt jetzt eine Blattzelle, um zu untersuchen, welche Sequenzen und dadurch welche Eigenschaften die Pflanze exprimieren wird.
Im Labor erforscht Pure die DNA der Hanfpflanzen. (Bild: Sumanie Gächter)
Pure setzte in Zeiningen von Anfang an auf Transparenz, um der Skepsis der Bevölkerung entgegenzuwirken. So eröffneten sie einen Hanf-Erlebnishof, bauten Glasfassaden in ihre Gebäude und errichteten ein Cannabis-Labyrinth, um Besucher*innen die Pflanzen und Projekte von Pure näher zu bringen. Lange stand hier die grösste Cannabis-Pflanze der Schweiz, die pro Ernte mehrere Kilo Blüten abwarf.
Pilotprojekte mit THC
Neben den Freizeitbesucher*innen sind auch die lokalen und internationalen Behörden und Big Businesses aus der Schweiz, USA und Kanada schon nach Zeiningen gekommen. So hat Pure auch eine staatliche THC-Forschungsgenehmigung bekommen und produziert für Pilotprojekte Pflanzen mit THC-Gehalt von bis zu 20 Prozent, welche bald im Rahmen von Studien für den rekreativen Gebrauch eingesetzt werden. Anders als die anderen Felder sind diese Pflanzen umzäunt und von Kameras und Sicherheitspersonal überwacht. Zudem liegen Gesetzesentwürfe vor, die die THC-Produktion in der Schweiz für den Export erlauben und eine erleichterte Abgabe durch Ärzte ermöglichen sollen. Cereghetti ist optimistisch: «Ich schätze, dass man in den nächsten zwei bis drei Jahren wichtige Schritte für eine Cannabis-Regulierung umsetzen wird. Sollten alle drei Gesetzesvorstösse durchkommen, würde die Schweiz in den nächsten Jahren zum progressivsten Cannabismarkt nach Kanada werden.»
Klar, dass Cereghetti oft gefragt wird, ob Pure bereit ist, in Zukunft auch psychoaktiven Cannabis zu produzieren. «Natürlich sind wir dafür bereit, sobald sich die Gesetze ändern. Aber THC ist nur eines von 400 aktiven Molekülen mit medizinischem Potential in der Cannabispflanze. Wir sind nicht nur an THC interessiert, sondern wollen all diese Stoffe mit medizinischem Potential in der Cannabispflanze verfügbar machen.» Wir sind der Quelle des Schweizer CBD hiermit etwas nähergekommen und sind schon gespannt auf die neuen Produkte, die Pure und andere Firmen in Zukunft noch entwickeln werden – womöglich bald auch mit berauschenden Wirkungen.