Mit einem Transparent prangern Aktivist*innen auf der Langstrasse den Missstand am Deutschen Seminar an.

Kollektiv lanciert feministische Petition am Deutschen Seminar

Der Frauen*streik erreicht auch dieses Jahr die Universität Zürich. Ein feministisches Kollektiv am Deutschen Seminar kritisiert die fehlende weibliche Repräsentation im Studium – und stellt mit einer Petition konkrete Forderungen.

15. Juni 2020

Ein turbulentes Streikwochenende liegt hinter Zürich. Am Samstag lockte die «Black Lives Matter»-Demonstration über 10'000 Protestierende auf die Strassen der Innenstadt, einen Tag später blockierte der Frauen*streik die Langstrasse und organisierte beispielsweise eine Pool-Party. Auch vor dem Eingang der Uni Zürich fand eine Protestaktion des feministischen Hochschulkollektivs statt, bei der unter anderem ein Transparent mit der Aufschrift «Fick die Uni mit Strap-on» aufgehängt wurde.

Auch am Deutschen Seminar machten sich gestern Aktivist*innen bemerkbar. Bereits am letztjährigen Frauen*streik vom 14. Juni 2019 richtete sich dort ein Studierendenkollektiv mit einem offenen Brief an die Dozierenden und Studierenden. Das Kollektiv beklagte unter anderem das Fehlen von Autorinnen* und Theoretikerinnen* in der jeweiligen Seminarlektüre und auf den Leselisten. Zahlreiche Studierende unterschrieben den Brief. Nun doppelten sie mit einer Rundmail und einer weiteren Petition nach.

Jeder zehnte Text stammt von Frauen

Anlässlich des ersten Jubiläums des Frauen*streiks hat das Kollektiv die Implementierung der Forderungen von 2019 überprüft – und eine Verschlimmerung der Situation festgestellt: Obwohl Texte von Autorinnen* schon vorher nur einen Fünftel der Auswahltexte für die mündliche Prüfung darstellen, sind es nach der Bologna-Reform 2020 noch weniger. Klägliche 11 Prozent der zur Auswahl stehenden Texte wurden von Frauen geschrieben. Mit Judith Butler und Joan Rivière sind noch die zwei letzten Theoretikerinnen von der Auswahl-Liste für Literaturtheorie verschwunden.

Das Studierendenkollektiv formuliert deshalb in einer Rundmail vom Sonntag erneut konkrete Forderungen an die Professor*innen und Dozierenden und forderte die Studierenden des Deutschen Seminars zum Unterschreiben auf. Die Aktivist*innen verlangen mehr Autorinnen* auf den Leselisten der mündlichen Prüfungen, mehr Präsenz von Schriftstellerinnen* und Theoretikerinnen* in den Lehrveranstaltungen und mehr Diversität in Forschung und Lehre. Auch Rassismus, Kolonialismus und andere Formen diskursiver Unterdrückung sollen behandelt werden. Zudem fordern sie offizielle Hinweise zu gendergerechter Sprache in den Merkblättern und kritische Reflexion des literarischen Kanons in den Basismodulen. «In Memoriam» erinnert das Kollektiv in der Mail zudem an 80 Autorinnen*, die früher am Deutschen Seminar zu lesen waren, nun aber gänzlich aus der Leseliste verschwunden sind.

Auf dem Helvetiaplatz, der im Rahmen des Frauen*streik zum Ni-Una-Menos-Platz wurde, wird an die 80 verschwundenen Autorinnen* gedacht.

Auf dem Helvetiaplatz, der im Rahmen des Frauen*streik zum Ni-Una-Menos-Platz wurde, wird an die 80 verschwundenen Autorinnen* gedacht (Bild: zVg).

Universität reagiert zu träge

Leselisten und Seminarpläne anzupassen und zu aktualisieren ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens seitens der Institute. Auch im Vergleich mit anderen Zürcher Instituten hinkt das Deutsche Seminar weit hinterher. Inklusion und Diversität sind gemäss der Diversity Policy der Uni Zürich «in Forschung, Lehre, Studium, akademischer Selbstorganisation und Verwaltung» erwünscht und als Kompetenzen auf- und auszubauen. Auch das Einführen von Hinweisen zu gendergerechter Sprache wäre ein Leichtes. Der ehemalige Rektor Michael Hengartner wies selbst auf diesen Missstand hin und schrieb im universitären Leitfaden «Geschlechtergerecht in Text und Bild»: «Die Universität Zürich hat den Anspruch, allen Universitätsangehörigen optimale Bedingungen zu bieten und dies auch in einer geschlechtergerechten Sprache zum Ausdruck zu bringen.» Doch an der Umsetzung scheitert es, die Mühlen der Akademie drehen sich langsam.

Nach den Protesten und Demonstrationen, die auch an diesem Wochenende wieder eindrücklich auf soziale und gesellschaftliche Missstände hinwiesen, wäre nur zu hoffen, dass auch die Akademie handfeste Konsequenzen ziehen könnte, anstatt sich in leeren Versprechungen zu ergehen. Oder gar, wie im Fall des Deutschen Seminars, dass eine Reform, die nicht eng durch die Interessengruppe begleitet wird, schliesslich in einer verschlimmerten Situation endet. Die eindringlichen Proteste dieses Wochenendes begeistern, doch müssen sie sich in konkreten politischen Massnahmen widerspiegeln, auch und gerade in der Akademie.