Forschung auf Hochtouren
Hinter geschlossenen Türen der Uni und ETH betreiben zahlreiche Wissenschaftler*innen Forschung zu Covid-19. Ein Überblick.
Anfang April machte die UZH-Foundation der Universität Zürich mit einem Spendenaufruf auf sich aufmerksam. «Unterstützen Sie den Pandemie-Fonds der Universität Zürich mit einer Spende», bat Michael Schaepman, Prorektor Forschung an der Uni und Vizepräsident des Stiftungsrats der Foundation, in einer Videobotschaft von seinem Wohnzimmer aus. Es seien so viele Forschungsgesuche zu Covid-19 eingegangen, dass die Uni sie nicht aus eigenen Mitteln finanzieren könne. Selbst die Bundesgelder des Schweizer Nationalfonds (SNF) würden nicht ausreichen. Auch die ETH-Foundation hat einen Corona-Impulsfonds gestartet. Damit sollen Forschende, die ihre Arbeit auf Projekte rund um Covid-19 umgestellt haben, zusätzliche Finanzierung erhalten.
«Mit diesen Mitteln sollen drei Arten von Projekten unterstützt werden», erklärt Donald Tillman, Geschäftsführer der ETH-Foundation. Einerseits Notfall-Projekte, bei denen Studierenden finanziell unter die Arme gegriffen werden soll. «Das wäre beispielsweise der Fall, wenn aufgrund der aktuellen Lage ein Stipendium ausfällt oder das Studium verlängert werden muss», sagt Tillman. Andererseits soll das Geld an kurzfristige Forschung gehen, also etwa an Projekte, die Gesichtsmasken produzieren, virale Tests oder Beatmungsgeräte entwickeln. Drittens werden längerfristige Forschungsprojekte unterstützt, um die Widerstandskraft in der Krise und gegenüber zukünftigen Pandemien zu stärken. Während Interessierte durch den Corona-Impulsfonds die Möglichkeit haben, Studierende oder Angestellte der ETH zu unterstützen, fokussiert sich der Pandemie-Fonds der Uni auf drei «dringende Forschungsprojekte» aus dem Bereich der Humanmedizin.
«Covid-19-Forschung ist momentan ein Hype»
Zu den ausgewählten Projekten gehören eines zu Antikörpern von Covid-19-Infizierten, eine Studie über das Immunsystem sowie eine Erhebung von Zahlen der Infizierten in der Schweiz. «Wir haben Projekte ausgesucht, die kurz- und mittelfristig Erfolg haben, nicht erst in sieben Jahren», erklärt Schaepman den Entscheid. Zudem seien andere Projekte für den Spendenaufruf nicht gleich vermarktbar. Laut UZH-Foundation sollen so drei bis fünf Millionen Franken zusammenkommen. Ein ehrgeiziges Ziel? «Man muss die Verhältnisse schon sehen», relativiert Schaepman. Die Uni mache 1,4 Milliarden Franken Umsatz. «Das Covid-Thema ist im Moment ein Hype, wird die Uni aber nicht in eine ‹Corona-Uni› verwandeln.» Es sei schliesslich wichtig, die Diversität der Forschung beizubehalten – dennoch will die UZH-Foundation die Uni zu einem «Leuchtturm» für die Covid-19-Forschung machen und dafür anerkannt werden.
An Uni und ETH sind insgesamt rund 60 Gesuche für Forschungsprojekte rund um das Virus eingegangen. «Das sind doch einige», sagt Uwe Sauer, der das Evaluationskommittee der ETH für die neuen Projekte leitet. 40 Gesuche begutachtete er, 30 davon wurden bewilligt. Dazu zählen nur Projekte, die Zugang zu ETH-Räumlichkeiten brauchen. «Andere, die aus dem Homeoffice gemacht werden können, sind darin nicht enthalten», erklärt Sauer. So beispielsweise das Erstellen von Tracking-Apps, die Ansteckungsketten unterbrechen sollen. Doch auch für die Forschungsgruppen mit Labor-Zugang gelten strenge Regeln. «Insgesamt sind permanent etwa 50 bis 100 Personen an der ETH», sagt Sauer. Es dürfe aber pro Labor immer nur immer nur eine Person anwesend sein.
Impfstoff für die Zukunft
Eine Forscherin, die ihren Fokus auf die Covid-19-Forschung umgestellt hat, ist Emma Slack. Die Professorin des Departements für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH arbeitet zurzeit an einem Projekt mit dem verheissungsvollen Namen «Optimized Covid-19 Vaccine». «Meine Forschungsgruppe arbeitet ohnehin viel mit Impfstoffen. Nun möchten wir einen entwickeln, der leicht produzierbar ist und nicht nur gegen Sars-CoV-2, sondern gegen weitere ähnliche Coronaviren wirkt», erklärt Slack. Aktuell würden weltweit etwa 150 Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt. «Unser Projekt steht damit nicht in Konkurrenz, da es eher langfristig ausgerichtet ist», so Slack. Das Ziel sei, einen Impfstoff zu entwickeln, der vor zukünftigen Pandemien schützen könne. «Bei einer weiteren Pandemie wäre der Impfstoff schnell einsetzbar», hofft Slack. Denn: Die Gruppe testet einen Schluckimpfstoff, der nicht gespritzt werden muss. «Das ist besonders für Entwicklungsländer interessant, da man weniger Ressourcen braucht.»
Von Slacks Gruppe führen aktuell nur zwei Forschende Experimente an der ETH durch. «Ich selbst sowie sechs weitere Teammitglieder arbeiten ausschliesslich im Homeoffice», so Slack. «Zum Glück arbeiten wir ohnehin viel mit Computermodellen.» Während die Erforschung des Impfstoffs rasch vorangeht, sind ihre bisherigen Forschungsprojekte alle auf Eis gelegt. Die restlichen 14 Mitglieder ihrer Forschungsgruppe, die nicht an der Entwicklung des Impfstoffs beteiligt sind, haben haben aber auch so genug zu tun. «Sie schreiben beispielsweise Papers, gestalten Modelle am Computer oder analysieren Daten.» So habe Slack auch für die von ihr betreuten Bachelor- und Master-Studierenden die Projekte umgestalten können. «Natürlich ist es tragisch, das ganze Labor zu schliessen – aber wir wissen alle, dass dies die richtige Entscheidung war.»
Kooperation statt Konkurrenz?
Slacks Gruppe, die aus Tim Keys, Christophe Rutschmann, Tom Kloter, Daniel Hoces, Manfred Kopf und Jan Kisielow besteht, arbeitet eng mit dem Francis Crick Institute in London zusammen. Dessen Mitarbeiter Paul Bates und Raphael Chaleil sind auf Biomolekulares Modellieren spezialisiert und Slack ist überzeugt, dass die Zusammenarbeit auch für andere Projekte vorteilhaft sein wird. «Durch die Krise merken wir, wie effizient virtuelle Besprechungen und Zusammenarbeiten eigentlich sind», so Slack. Sie erlebt die Kooperation unter Forscher*innen bis jetzt als sehr positiv. «Viele sind bereit, sich gegenseitig zu helfen.» Slack hofft, dass dieser Wille zur Zusammenarbeit auch nach dem Lockdown weiter besteht. Sie nahm, wie viele andere Forschende auch, am «Speed-Dating» der Uni und ETH teil. Bei diesem virtuellen Treffen konnten sich Covid-19-Forschungs-Gesuchstellende untereinander austauschen.
«Nach zwei Stunden haben sich rund fünf Zusammenarbeiten ergeben», weiss Thomas Trüb, Leiter der strategischen Forschungsplattformen der Uni. Aus Prinzip werde die Zusammenarbeit der beiden Hochschulen aber nicht «streng» koordiniert. «Das muss eine Eigendynamik entwickeln, denn die Freiheit der Forschung besteht weiterhin», so Trüb. Auch Sauer findet: «Das ist nicht die Zeit für Konkurrenzdenken.» National wie international würden Daten bereits zu einem extrem frühen Zeitpunkt ausgetauscht – «so, wie man es eher nicht vom wissenschaftlichen Prozess kennt». Die Uni und die ETH seien eben wie Zwillinge, sagt Schaepman dazu: «Wir ärgern uns manchmal, aber wir tun uns auch zusammen.» Auch er sagt: «In der Krise darf man etwas Kooperation verlangen.» Seit Ende April geht die Forschung an den Hochschulen aus dem ‹Minimalbetrieb› schrittweise wieder in den Normalbetrieb über. Doch in einem sind sich alle einig: Die Erfahrungen, die während des Lockdowns gemacht wurden, werden noch lange Auswirkungen auf die Forschung haben.