Vom Banker zum Plattenhändler
Seit über 20 Jahren betreibt der Ex-Bankangestellte Philippe Künzi den Plattenladen Blutt Records am Limmatplatz. Ein Besuch.
Am Limmatplatz, schräg gegenüber der Postfiliale, verbirgt sich eine wahre Trouvaille. «CD, Schallplatten, DVD» und «An- und Verkauf» steht über dem unscheinbaren Schaufenster und der Tür des Altbaus. Hier, auf dem Türabsatz, trifft man bei schönem Wetter häufig Ladenbesitzer Philippe Künzi beim Kaffeetrinken an. «Ich bin eigentlich jeden Tag da», sagt er. «Da», damit meint Künzi seinen Plattenladen Blutt Records, den er seit über 20 Jahren führt. Wer Künzi vor 15 Uhr sucht, wird aber nicht fündig. Der Plattenladen ist nämlich «Liebhaberei» – morgens arbeitet der 53-Jährige als Hauswart. Aufgrund der Höhe der Miete «würde das sonst gar nicht gehen».
Betritt man das Geschäft, umgibt einen bald der leicht muffige Geruch von alten Platten. Die günstigsten sind für einen Stutz, die teuersten für über hundert Franken erhältlich. Nebst den mehreren Gängen mit Platten können sich Nostalgiker*innen den Wänden entlang durch CDs und DVDs wühlen. Ein Konzept gibt es nicht – von Bravo-Hits bis zu klassischer Musik ist alles zu finden. An diesem Donnerstag ist alles zum halben Preis zu haben. «Das ist der Hustenpreis», erklärt Künzi. Potentielle Käufer*innen kommen, durchstöbern den Laden etwas. «Ich bin ein Anti-Digitalist», erklärt einer stolz, der auf der Suche nach New Wave und mexikanischer Musik ist. Bis heute besitze er keinen Computer.
Kein einfaches Geschäft
«Heutzutage ist es selten, dass die Leute vor dem Geschäft anstehen, um etwas zu kaufen», sagt Künzi. Zwar habe es vor vier oder fünf Jahren einen Platten-Hype gegeben. «Doch nicht brutal.» Dennoch verkauft Künzi am meisten Vinyl, der CD- und DVD-Verkauf ist zum Randgeschäft verkommen. Der grösste Teil seiner Kundschaft sei Ü-30 und männlich. «Einige kaufen seit 25 Jahren bei mir ein», erzählt er. Das seien auch diejenigen, die an den zweimal jährlich von ihm organisierten Schallplattenbörsen im Volkshaus anzutreffen seien. Das ganze Business hat sich aber in den letzten Jahren drastisch geändert. «Viele fragen nach WLAN, damit sie auf Discogs die Preise vergleichen können», erzählt Künzi. Auch er vertreibt auf der Internet-Plattform für Musik einige Platten, CDs und DVDs. Verkauft hat er in acht Jahren aber bloss 200 Stück.
Generell lasse sich seine Kundschaft wie folgt beschreiben: «Viele sind ‹Digger›, die wie Goldgräber suchen, bis sie etwas Spezielles finden.» Einige dieser Gestalten lassen sich auch heute blicken. Vertieft durchwühlen sie die Kisten mit alten Platten, ziehen ab und zu eine raus, hören vielleicht rein. Nur einmal betritt eine Gruppe Jugendlicher den Laden, zieht aber bald ohne Kauf wieder davon. Generell würden nur wenige Junge vorbeischauen. Als die Kunsthochschule noch am Letten war, sei das anders gewesen. «Heute können die Jungen nicht mal mehr die Beatles von den Stones unterscheiden», so Künzi. Und Elvis’ Platten wolle auch niemand mehr kaufen. «Viele meiner langjährigen Kund*innen wissen mehr über Musik als ich.» Er gehöre nicht zu den Plattenhändler*innen, die aus ihrer Leidenschaft zur Musik in das Geschäft eingestiegen seien.
«Selbsthilfe zur Selbsthilfe»
«Ich war eigentlich Bankangestellter», erzählt Künzi. Das ist wohl der letzte Beruf, den man bei dem gemütlich wirkenden Künzi mit seinem Berner Dialekt vermuten würde. Tatsächlich ist er in Worb bei Bern aufgewachsen und ursprünglich für seinen Job bei der Bank nach Zürich gekommen. 1994 sei er entlassen worden. «Das war eigentlich ganz gut», meint er heute. Sonst würde es Blutt Records nicht geben. Denn als Arbeitsloser versuchte er, seine Kleidung auf dem Flohmarkt zu verkaufen – und beobachtete dort, wie gut Vinyl-Platten weggingen. «Also begann ich Platten zu verkaufen». Dabei habe er keine Ahnung von Musik gehabt. Seit 1996 betreibt er nun Blutt Records, seit 1997 am heutigen Standort. «Das war eigentlich Selbsthilfe zur Selbsthilfe», sagt Künzi. Zu Beginn habe er auch nichts über die Preissetzung gewusst. «Heute findet es meine Kundschaft schade, dass ich mich besser auskenne – weil die Platten nun etwas teurer sind», lacht er.
Während der Jahrzehnte im Geschäft hat Künzi ein gutes Auge für den Wert einer Platte entwickelt. Man müsse Nachpressungen von den wertvolleren Originalen unterscheiden können. «Der Kleber hier etwa stört», erklärt er auf eine Nachpressung zeigend. Auch der Geruch sei anders. Zudem: Strichcodes seien erst auf Platten ab den 80er-Jahren zu finden. Während Künzi heute Online-Datenbanken zur genauen Identifizierung einer bestimmten Platte zu Hilfe nimmt, war er früher auf gedruckte Nachschlagewerke angewiesen. Ein paar davon, dick wie Telefonbücher, hat er aufbewahrt. Daneben stehen die Bücher «Heute und Danach» und «Die Not hat ein Ende», die beide die Geschichte der Schweizer Rockmusik beinhalten. Eines wird klar: Künzi hat seine Leidenschaft für die Musik doch noch gefunden.