Der Unverpacktladen Chez Mamie am Schaffhauserplatz erinnert an einen winzigen Quartierladen. Sumanie Gächter

Hier gibt es keine Plastiksäckli

Zero-Waste-Läden wollen einen abfallfreien Einkauf ermöglichen. Doch für viele Konsument*innen sind die Produkte schlicht zu teuer.

5. April 2020

An einem Freitagmorgen herrscht reger Betrieb im Café, im Hintergrund läuft Faber, eine junge Frau füllt im Ladenteil Reis in ihr Tupperware. Das ist hier das Prinzip: Glas, Baumwollbeutel und sonstige Behälter selber mitbringen, befüllen, wägen und an der Kasse bezahlen. An der Wand gibt’s Reis, Quinoa, Haferflocken und Nüsse in transparenten Grossbehältern. Auf dem Tisch in der Ladenmitte stehen Gläser mit Trockenfrüchten und Süssigkeiten; auf einem anderen Gewürze und Teemischungen. In Kanistern steht Öl bereit, im Kühlschrank gibt’s Joghurt im Glas. Daneben frisches Gemüse und Früchte aus der Region. Und was sofort ins Auge springt: Es gibt Binden aus Baumwolle und Ohrenstäbchen für den Mehrfachgebrauch. Tara Welschinger ist Mitbegründerin und Inhaberin des Foifi neben dem Schiffbau, Café und Zero-Waste-Laden zugleich. Seit vier Jahren kommt sie ohne Coop, Migros oder andere Grossverteiler aus. Sie kauft alle Lebensmittel in Unverpacktläden wie dem eigenen Foifi. Ein Zero-Waste-Laden für den ganzen Einkauf, das ist Welschingers Ziel.

Ohne Abfall zu leben, heisse auch, sich grundsätzliche Fragen zur eigenen Ernährung zu stellen: Wann haben welche Früchte und Gemüse Saison? Woher kommen die Avocados, die wir konsumieren? Mit solchen Fragen war Welschinger konfrontiert, als sie vor fünf Jahren auf Zero Waste umstellte. Der bewusste Umgang mit Lebensmitteln bedeute für sie aber keinen Verzicht: «Eine Banane ist für mich etwas Spezielles geworden. Jede erste Bohne und jede erste Tomate der Saison sind ein Highlight. Und dann geniesse ich einfach die Zeit, in der es Tomaten gibt.»

Klimastreikbewegung als Katalysator

Wie das Foifi öffnete auch der zweite Unverpacktladen Zürichs, Chez Mamie, vor drei Jahren am Schaffhauserplatz – als Franchise einer Ladenkette aus der Romandie. Inzwischen gibt es eine zweite Filiale beim Hauptbahnhof. Wer das Chez Mamie betritt, fühlt sich um viele Jahre zurückversetzt: Der Laden hat das Flair eines winzigen Quartierladens, die Stimmung ist eine ganz andere als im hippen Foifi. «Ich habe das Gefühl, dass uns die Westschweiz in vielen Fragen der Nachhaltigkeit voraus ist», sagt Dea Wehrli, die damals mit drei Arbeitskolleg*innen aus ihrem Büro an der ETH die Idee hatte, in Zürich ein Zero-Waste-Geschäft zu gründen. Doch mittlerweile wird auch in der restlichen Deutschschweiz das Unverpacktkonzept zum Trend: In den letzten Jahren öffneten Läden in St. Gallen, Winterthur, Bülach und Aarau.

«Der Müll entsteht nicht mit den Verpackungen.»
Raphael Portmann, Architekturstudent

Hat die Klimastreikbewegung den Zürcher Zero-Waste-Läden wohl zu mehr Kundschaft verholfen? «Es gibt sicher eine Bewusstseinsförderung für das Thema Nachhaltigkeit», sagt Wehrli. «Die Leute werden offener, Dinge auszuprobieren.» Auch Welschinger spürt den Wandel und versucht, ihn zu nutzen: «Wir schaffen ein Angebot für Menschen, die Teil der Veränderung sein wollen. Zusammen mit Fair-Fashion-Labels, Tauschmärkten, Gemüse-Abos und weiteren Angeboten in Zürich.» Sie betont aber auch, dass zwischen dem Bewusstwerden und der tatsächlichen Umstellung auf ein nachhaltiges Leben ein langer Prozess liege. «Auf Zero Waste umzustellen, hat mich total aus meinem Alltagshamsterrad gerissen.»

Bewusstes Einkaufserlebnis

Trotzdem kontert sie das Gegenargument, dass für bewusstes Einkaufen die Zeit fehle: Nachhaltig einzukaufen sei wie Sport zu treiben oder ein Hobby auszuüben. Für Welschinger stellt sich die Frage: «Wie kann ich meinen Alltag so weit entschleunigen, dass ich für die essentiellen Dinge im Leben – Freund*innen, Familie, Essen, Erlebnisse – Platz habe?» Der Einkauf soll im Zero-Waste-Laden zum bewussten Erlebnis werden. Welschinger ist eine Meisterin darin, persönliche Bindungen zur Kundschaft aufzubauen. Café-Besuchende begrüsst sie wie alte Freund*innen und findet während der Arbeit Zeit zum Plaudern. Wer schnell wieder aus dem Laden raus will, ist nicht Zielkund*in eines Unverpacktladens – da stimmt auch Wehrli zu. Einkaufen gilt hier als Qualitätszeit.

Für viele ist Zero Waste schlicht zu teuer

Gaia di Salvo ist Philosophiestudentin und arbeitet seit Januar nebenbei als Verkäuferin im Chez Mamie. Sie erklärt Kund*innen, wie richtig abgewogen wird, oder füllt Maulbeeren und Zimtstangen nach. Durch die Arbeit im Unverpacktladen wurde di Salvo selbst sensibilisiert und kauft nun Gewürze, Trockenfrüchte, Leinsamen und Geschirrspülmittel im Chez Mamie. «Andere Produkte sind mir aber schlicht zu teuer», sagt di Salvo, «man muss sich bewusst sein, dass nicht jedes Zero-Waste-Produkt für alle erschwinglich ist.» Für viele, einschliesslich Studierende, sei es schlicht zu teuer, so nachhaltig einzukaufen. Auch die 20-jährige Maturandin Fabiana Merz versucht, regelmässig unverpackt einzukaufen, und sieht die Preisfrage als Dilemma: «Es ist nicht allen möglich, Lebensmittel zu höheren Preisen als im Grossverteiler einzukaufen. Gleichzeitig ist es aber absurd, dass wir für fünfzig Rappen eine Tafel M-Budget-Schokolade kaufen können.»

Diesen Gedanken greift Foifi-Gründerin Welschinger auf. Im Foifi zahlt die Kundin neun Franken pro 100 Gramm Schokolade – rund 6.60 Franken mehr als für eine Tafel Lindt-Schokolade im Coop. Produkte wie Haferflocken oder Quinoa seien aber unverpackt nur wenig teurer als im Detailhandel. Welschinger ist die Unterscheidung zwischen Grundnahrungsmittel und Genuss wichtig. Das heisst dann etwa: «Schokolade ist ein Luxusprodukt – wenn man sieht, wo sie herkommt und wie sie angebaut wird.» Schweizer*innen gäben durchschnittlich sechs bis sieben Prozent des Haushaltsbudgets für Essen aus. «In Entwicklungsländern hingegen betragen die Ausgaben für Lebensmittel bis zu 70 Prozent des Budgets, dafür gibt es nur ein bis zwei Prozent Food Waste – anstatt 50 Prozent wie in der Schweiz.» Essen sei für uns wertlos geworden.

Industrie und Politik müssen umdenken

Unverpacktes Einkaufen ist ein Privileg; die höheren Preise im Unverpacktläden lassen sich aber rechtfertigen. Doch Lara Can, die an der Uni Zürich Wirtschaft studiert, sieht eine andere Problematik: «Es stört mich, wenn die Verantwortung für die Klimakrise auf das Individuum abgeschoben wird. Unverpackt einkaufen trägt nicht zur CO2-Reduktion im grossen Stil bei.» Trotzdem kauft sie ab und zu Zero Waste ein – genauso wie Architekturstudent Raphael Portmann, der seine Einkäufe mehrheitlich unverpackt erledigt, auf dem Markt oder im Chez Mamie. Er pflichtet Can bei: «Der meiste Müll entsteht nicht mit den Verpackungen, sondern vorher. Eigentlich müssten Industrie und Politik umdenken und nicht die Konsument*innen.»

Tara Welschinger sagt, die Haltung der Konsument*innen könne Industrie und Politik durchaus beeinflussen. So sieht es auch Dea Wehrli: Sie habe schon einige Lieferant*innen erlebt, die nach Nachfragen ihr Angebot umweltfreundlicher angepasst haben. Und so zeigt sich, dass selbst Zero-Waste-Läden Einfluss auf die Lieferant*innen nehmen können – auch wenn es viel Zeit braucht.