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Seit 14 Jahren kann bei Tauschen am Fluss in Wipkingen Wissen gegen Zeit getauscht werden.
Gartenpavillons gegen Gebäck oder Rodelschlitten tauschen, Surfkurse auf der Limmat gegen Hilfe bei Computerproblemen – bei der Gemeinschaft Tauschen am Fluss wird das getan, was der Name erraten lässt: Es wird getauscht. Die Gruppe im Gemeindezentrum Wipkingen ist offen für alle, die mitmachen wollen. Das Projekt unterscheidet sich dabei von der konventionellen Tauschgemeinschaft: Hier werden nicht nur Gegenstände, sondern vor allem Stunden gegen Stunden getauscht. Vor 14 Jahren entstand die Tauschgemeinschaft aus der Idee, ungenutztes Wissen von Rentner*innen und Arbeitslosen sowie von Migrant*innen mit nicht anerkannter Ausbildung teilen zu können. Anfänglich sollten nur Dienstleistungen getauscht werden, später kamen aber auch selbstgemachtes Essen und Secondhand-Ware dazu.
Zeit als Währung
Beim Dienstleistungstausch gilt ein sehr simples Prinzip: Egal ob Haareschneiden oder Strickunterricht, jedes Angebot wird gleich verrechnet. Das heisst: Jede Stunde ist hier gleich wertvoll. Jedes Mitglied bekommt ein Zeitkonto, um das Anhäufen investierter Stunden und Verschuldungen zu vermeiden. Auf dem Konto ist Platz für maximal 30 Plus- und Minusstunden. Auch wenn die getauschten Stunden gewissenhaft abgerechnet werden, scheint die Bilanz für alle Beteiligten positiv auszufallen. «Oft wissen Tausch-Interessierte gar nicht, was sie denn zu bieten hätten», sagt Ursula Marx, Co-Präsidentin und Mitbegründerin. «Vielfach werden eigene Fähigkeiten und deren Mehrwert für andere erst durch den Austausch mit anderen Tauschenden entdeckt.» Speziell für Menschen, die nicht im Arbeitsmarkt integriert sind, kann das Tauschprojekt einen positiven Nebeneffekt auf ihr soziales Netzwerk und ihr Selbstwertgefühl haben. Denn speziell letzteres ist oft an die eigene Arbeitstätigkeit gebunden.
Gemeinschaft statt Revolution
Der Verzicht auf herkömmliche Währungen lässt vermuten, dass damit ein antikapitalistisches Zeichen gesetzt werden will. Dem ist jedoch nicht so, erklärt Marx: «Es ist nicht unser primäres Ziel, politisch zu sein. Im Zentrum steht, ein stabiles Netzwerk aufrecht zu erhalten und so einen lustvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen an Talent, Begeisterung und Engagement vorzuleben.» Dass dabei materielle Ressourcen geschont werden, sei eine zusätzliche Motivation. Konsumgewohnheiten sollen durch den Wissensaustausch ungezwungen nachhaltiger werden. So unterstützen sich einige Tauschende beim Kleiderfasten, dem zeitweiligen Verzicht auf Textilkonsum.
Kreislaufwirtschaft an der Limmat
Die Gemeinschaft Tauschen am Fluss hat, obwohl sie sich nicht damit brüstet, die Grundzüge einer kleinen Kreislaufwirtschaft: Vorhandenes – egal ob Material oder Wissen – wird wiederverwendet und geteilt. Allerdings ist weder die Idee der Kreislaufwirtschaft noch das Tauschprojekt an sich komplett neu. Ursprünglich wurde die Gemeinschaft gegründet, um Menschen ausserhalb des Arbeitsmarktes zu integrieren. Heute könnte sie bei wachsender Anzahl unkommerzieller Marktplätze im Internet auch bei Jüngeren Anklang finden.
Der Kern der Gemeinschaft bestehe aber zum grössten Teil aus über 50-Jährigen. Junge Leute seien bis anhin nur kurzzeitig dabei, erklärt Marx. Im heutigen Diskurs über schonenden Ressourcenverbrauch und Postwachstumsgesellschaften könnten solche Projekte wieder an Aufschwung gewinnen und neuen Initiativen als Inspiration dienen.