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Zwischen Fiktion und Realität

22. Februar 2020

Kino — Camille Lepage war 26-jährig, als sie im Mai 2014 starb. Französische Soldaten fanden ihre Leiche auf dem Lastwagen einer Anti-Balaka-Miliz. Das ist kein Spoiler für den Film «Camille» des französischen Regisseurs Boris Lojkine. Denn er wählt den Tod Lepages, beziehungsweise die Entdeckung ihres toten Körpers, gleich als Einstieg für seinen Spielfilm.

Mit dem Biopic der französischen Fotografin gewann er letzten Sommer in Locarno den Publikumspreis. Lepage – gespielt von Nina Meurisse, die zuletzt in der Tragikomödie «Place publique» zu sehen war – fotografierte im Konflikt um den Südsudan, bevor sie im September 2013 in die Zentralafrikanische Republik reiste, wo sie acht Monate später ums Leben kommen würde. Es sind diese letzten Monate, denen sich Lojkines Film verschreibt.

Lepage reist in die Zentralafrikanische Republik, um aus dem Bürgerkrieg zu berichten: Nach dem Putsch gegen den christlichen Präsidenten François Bozizé metzeln sich muslimische Séléka-Truppen und die christlichen Anti-Balaka gegenseitig nieder. Im Film freundet sich Lepage in der Hauptstadt mit einer Gruppe Studierender an. Einer von ihnen, Cyril, steigt später zu einem Anti-Balaka-Führer auf und schleust Camille in seine Truppe ein. Er ist es auch, der zu ihr sagt: «Du kommst, du nimmst und du gehst wieder.»

Der Film steigt somit gleich mit Spannung ein und lässt einen nicht mehr so leicht los. Neben dem Aufbau liegt das auch an den Schauspieler*innen: Die Hauptdarstellerin Meurisse und Fiacre Bindala, der den Part von Cyril übernimmt, spielen ihre Charaktere intensiv, ohne je aufdringlich zu wirken.

Lojkine führt die Zuschauer*innen vor allem über die freundschaftlichen Bande zu Cyril an Camilles Dilemma heran: Wieviel Nähe kann sie als Reporterin zulassen, wohlgemerkt zu einem mordenden Milizenführer? Wieviel Nähe braucht sie, um ihre Arbeit gut machen zu können? Und gibt es eigentlich Dinge, die sie nicht zeigen soll? Man merkt, dass sich der Regisseur sehr genau überlegt hat, was die Knackpunkte der Kriegsberichterstattung sind und wie er sie dem Kino-Publikum vermitteln kann. Meist tut er das mit einer simplen Methode: Er lässt die Protagonist*innen darüber sprechen. Das führt zwar zum Teil zu gar schablonenhaften Dialogen, ist aber effektiv.

Dass in einem Biopic dabei nicht alle Dialoge genau so stattgefunden haben, ist offensichtlich, und das zu erkennen, kann den mündigen Zuschauer*innen durchaus selbst überlassen werden. Nur geht Lojkine für die Dramaturgie ein gutes Stück weiter, als andere Filmbiographien: Die Schlüsselfiguren haben – abgesehen von Lepage selber – nicht existiert. Cyril gab es nie; wie genau die Fotografin wirklich Eingang zu der Miliz gefunden hat, ist nicht bekannt. Das könnte man unter künstlerischer Freiheit abtun, schliesslich ist es ein Spielfilm und beruht lediglich «auf wahren Begebenheiten», so der obligate Hinweis vor dem Filmstart.

An einem Punkt sieht man Lepage allerdings über die Schulter, wie sie eine Notiz zu den Anti-Balaka schreibt. Die Notiz gibt es tatsächlich. Nur hat sie Lepage geschrieben, als sie im Südsudan war, nicht in der Zentralafrikanischen Republik. Den Kontext eines wirklich existierenden Kommentars verfälschen: Da interpretiert Lojkine seine künstlerische Freiheit dann definitiv etwas gar grosszügig.

Man muss es ihm aber lassen: Mit den fiktionalen Elementen hat er Spannung geschaffen. Man versteht das Publikum von Locarno.

«Camille» ist ab dem 27. Februar in Deutschschweizer Kinos zu sehen.