Prodekan Alain Griffel will den «Grundsatzfehler des Bologna-Systems» angehen. zVg

Von der Praxis gerügt

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät reagiert auf Kritik aus der Berufswelt. Prodekan Alain Griffel setzt sich für eine Studi-freundliche Reform ein.

22. Februar 2020

Dass Studienabgehende nichts können, ist keine neue Kritik. Seit der Einführung der Bologna-Reform musste sich insbesondere die Rechtswissenschaftliche Fakultät (RWF) der Uni Zürich wiederholt anhören, dass ihre Abgänger*innen weder schreiben noch lesen könnten. Im Zusammenhang mit der neuen Musterrahmenverordnung der Uni, aufgrund derer bereits an der Philosophischen Fakultät eine Reform durchgeführt wurde, soll der Ius-Studiengang nun ebenfalls tiefgreifend reformiert werden. Hinter der Reform steht Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und seit Anfang 2018 Prodekan für Lehre an der RWF.

«Zu Beginn des Reformprozesses luden wir eine hochkarätige Delegation aus der Praxis ein, um deren Meinung einzuholen», erklärt Griffel. Gerichte und Anwaltsbüros hätten schon länger ihre Unzufriedenheit mit den Studienabgehenden ausgedrückt. Bald sei klar geworden, dass der Studiengang grundlegend überarbeitet werden müsse. «Damit gehen wir den Grundsatzfehler des Bologna-Systems an», so Griffel. Bei der Einführung von Bologna vor 21 Jahren sollte der Bachelor generell zum Regelabschluss werden – für die RWF bedeutete das, dass der Bachelor-Abschluss als Zulassungsvoraussetzung für die Anwaltsprüfung reichen sollte. Mit verheerenden Folgen.

Master wurde ausgeklammert

«Ich finde die Vorstellung, man könne nach sechs Semestern und einem Praktikum im Gericht die Anwaltsprüfung ablegen, schon etwas eigenartig», sagt Griffel. Die Konsequenz dieses Entscheids war, dass der Stoff des Lizenziats in die sechs Bachelor-Semester gequetscht wurde. Von 2010 bis 2013 gab es eine erste Reform des Bologna-Systems. Doch auch hier lief einiges schief. «Der Grundfehler damals war, dass der Master bei der Reform ausgelassen wurde», erklärt Griffel. Dass der Bachelor überdacht wurde, sei durchaus dringend gewesen, denn: «Die Assessmentstufe des Bachelors war damals wahnsinnig dicht, bereits nach dem ersten Semester fanden drei Prüfungen statt.» Durch das Ausklammern des Masters habe sich der Druck aber einfach von der Assessment- in die Aufbaustufe verlagert.

«Dies hat zur Folge, dass Bachelor-Studierende ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit von drei Jahren abschliessen können», sagt Griffel. Dabei müsse dies zumindest für Vollzeitstudierende im Bereich des Möglichen liegen. Zudem ergebe es keinen Sinn, dass Studierende im Master teilweise kein einziges Fach belegen würden, das später in der Praxis relevant sei. Wenn jemand einen 5.5-Schnitt im Master habe, aber keine für das Gericht relevanten Fächer belegt hätte, werde diese Person nicht mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, habe ein Gerichtspräsident in der erwähnten Anhörung gesagt. Dabei ist Griffel überzeugt: «Die Fakultät ist es den Studierenden schuldig, dass sie die Uni mit einem Abschluss verlassen können, mit dem sie eine gute Chance auf eine Stelle haben.»

Gegen Bulimie-Lernen

Jetzt soll gerettet werden, was noch gerettet werden kann. Konkret werden ab dem Herbstsemester 2021 einige Pflichtmodule von der Bachelor- in die Masterstufe verschoben. Dadurch soll eine bessere Verteilung und eine Entlastung der Aufbaustufe erfolgen. Durch das Entschlacken des Stoffs soll überdies dem «Bulimie-Lernen» entgegengewirkt werden. «Es soll nicht ums Auswendiglernen gehen, sondern darum, dass Studierende Konzepte verstehen und juristisch denken lernen.» Zudem wird ein neues Pflichtmodul zum Thema «wissenschaftliches Schreiben» eingeführt. Und: Alle Fehlversuche von Studierenden, die ihr Studium im jetzigen System begonnen haben, werden gelöscht. «Es ist nicht möglich, die Fehlversuche von einem System in ein neues zu übertragen», erklärt Griffel den Entscheid.

Griffel sieht der Veränderung optimistisch entgegen. «Vor einem Jahr hätte ich noch nicht sagen können, ob die Reform zustande kommt.» Doch schliesslich wurde sie beinahe einstimmig angenommen und werde von der Studierendenschaft wie der Praxis gutgeheissen. «Dies soll die letzte Reform für die nächsten 20 Jahre sein», sagt Griffel. Er ist überzeugt, dass auch andere juristische Fakultäten das neue Modell übernehmen werden.