Michael Hengartner sitzt seit dem 1. Februar in seinem neuen Büro. Jonathan Progin

«Der Rektoratsposten ist keine One-Man-Show»

Michael Hengartner ist seit Februar Präsident des ETH-Rates. Im Gespräch blickt er auf seine Zeit als Rektor der Universität Zürich zurück.

22. Februar 2020

Herr Hengartner, 2014 haben Sie zu Ihrem Antritt als Rektor in einem Interview mit der ZS gesagt, dass Ihr Posten zu den «Top Ten der attraktivsten Jobs der Stadt» gehört. Hat sich das rückblickend bestätigt?

Ich habe meine Meinung sogar revidiert: von «Top Ten» zu «Best Job in Town». Es ist einfach eine phänomenale Stelle.

Warum?

Ich konnte viel Positives für die Bildung einer ganzen Generation bewirken und mich erfolgreich für optimale Forschungsbedingungen einsetzen. Und als neugieriger Mensch konnte ich im ständigen Kontakt mit Professor*innen und Studierenden sehr viel Neues lernen.

Weshalb sind Sie dann an die ETH gewechselt?

Weil man nicht ewig Rektor bleiben sollte. Die Uni lebt davon, dass immer wieder neue Ideen Eingang finden. Am Anfang kommt man mit grossen Ambitionen ins Amt; mit der Zeit merkt man aber, dass man nicht alles umsetzen kann. Dann ist das Risiko gross, irgendwann zum reinen Verwalter zu werden und den Status Quo beizubehalten, anstatt die Uni weiterzubringen. Das wollte ich nicht.

Was konnten Sie als Rektor eigentlich bewirken? Das Amt ist ja eher repräsentativ.

Es hat sicher einen repräsentativen Teil. Aber als Rektor*in ist man Vorsitzende*r der Unileitung und hat eine moralische Autorität, die nicht zu unterschätzen ist. Ich wollte mehr Dynamik in die Uni einbringen, mehr vorwärts bewegen. Ich habe versucht, mehr Frauen zu berufen, die Uni national und international sichtbarer zu machen und stärker mit der ETH auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten.

Was ist Ihnen davon gelungen?

Bei keinem dieser Projekte würde ich behaupten, sagen zu können: «Ziel erreicht», aber wir sind bei allen weiter-gekommen.

Wer sind «wir»?

Die Unileitung und die Erweiterte Unileitung, die Fakultätsleitungen und die Führung der Stände. Ohne sie ist es schwierig, die Uni vorwärts zu bringen. Das sind alles «Team Efforts», keine One-Man-Show.

Apropos Stände: Sie hatten als Rektor massgeblichen Einfluss auf die Reorganisation der Stände an der Uni. Neu hat auch das administrative und technische Personal ein Mitbestimmungsrecht. Wie stark ist dieses Recht überhaupt?

Gleich stark wie das Mitbestimmungsrecht der anderen drei Stände. Das administrative und technische Personal ist nun den Studierenden, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den fortgeschrittenen Forschenden und Lehrenden gleichgestellt.

Und wie viel können diese Stände wirklich bestimmen? Können sie zum Beispiel eine Entscheidung blockieren?

Nein, ein Veto-Recht kennt die Uni Zürich nicht. Aber schauen Sie sich die Erweiterte Unileitung an. Dort sitzen die sieben Mitglieder der Unileitung, die sieben Dekan*innen und je zwei Vertreter*innen von jedem Stand. Bisher hatten die Stände dort sechs Stimmen, neu sind es acht. Sie haben also mehr Gewicht. Aber auch heute gibt es noch Geschäfte, bei denen sie kein Mitbestimmungsrecht haben.

Die Uni hat im vergangenen Frühjahr alle Drittmittelgelder über 100'000 Franken veröffentlicht, die nicht aus öffentlichen Fonds stammen oder geheim sind. Was hat das gebracht?

Das Ziel war Rechenschaftsablegung. Wir bekommen sehr viel Geld von der Öffentlichkeit, darum ist es fair, wenn wir sagen, woher sonstige Gelder kommen und was wir damit machen. Ich bin stolz auf diese Drittmittel. Sie zeigen, dass sich diese Firmen oder Stiftungen bewusst für die Uni Zürich und nicht für eine andere Hochschule entschieden haben.

Wie stellen Sie sicher, dass geldgebende Konzerne wie Bayer oder Samsung nicht in die Forschung eingreifen?

Die rechtliche Grundlage ist ein Passus im Vertrag, den wir mit den Geldgebern abgeschlossen haben. Aber die beste Sicherung gegen Abhängigkeit ist, dass Drittmittel nur einen kleinen Teil des gesamten Budgets ausmachen (Anm. der Red.: 2018 waren 22 Prozent des Uni-Budgets Drittmittel). Wenn 10 Prozent von meinem Budget von einer Firma abhängt, dann werde ich mich nicht manipulieren lassen. Wenn hingegen 80 Prozent von einer Firma abhängen würde, dann wäre das existentiell. Und darum sage ich immer: Eine Top-Priorität der Schweizer Hochschulen ist eine stabile und solide öffentliche Finanzierung.

Kommen wir zu einem Dauerthema: Bologna. Warum waren die letzten Reformen so ein Krampf?

Das hat wohl mehrere Gründe (Pause). Eine Hochschule ist eine relativ träge Organisation. Änderungen müssen immer im laufenden Betrieb gemacht werden. Sie können eine Uni nicht einfach stoppen und wieder neu starten. Zudem braucht es einen grossen Koordinationsaufwand. Einen Studiengang umzukrempeln heisst nicht, dass wir uns nur zwei oder drei Module anschauen, sondern eben das ganze Programm, und das teilweise auch fakultätsübergreifend.

Trotzdem funktioniert nicht alles reibungslos. Bologna hätte eigentlich die Studiengänge europaweit harmonisieren sollen, aber das klappt nicht mal schweizweit.

Ja, leider noch nicht immer. Die Schweizer Hochschulen haben Bologna zu eng interpretiert. Zum Beispiel wurden thematisch sehr enge Bachelor-Programme angeboten, die schon auf ein bestimmtes Teilgebiet spezialisiert waren, anstatt einen breiter abgestützten Bachelor mit anschliessendem spezialisiertem Master anzubieten. Jetzt haben wir aus der Erfahrung gelernt.

Bologna wurde aber so verkauft, dass ein Bachelor ein vollwertiger Abschluss sei.

Vollwertiger Abschluss ja, aber in der Schweiz hatte die Politik von Anfang an gefordert, dass der Master der berufsbefähigende Abschluss sein solle. Die Idee war, dass Sie nach dem Bachelor einen Master an einer anderen Hochschule machen können. Die Studiengänge wurden dann aber so strikt aufgebaut und reguliert, dass es oft das Gegenteil bewirkt hat.

Während Ihrer Amtszeit ging die Zentralstelle der Studierenden (ZSUZ) 2017 Konkurs. Warum weigerte sich die Uni, ihr finanziell unter die Arme zu greifen?

Das wäre rechtlich schwierig gewesen. Die Stiftung war zwar nahe an der Uni, aber als öffentlich-rechtliche Anstalt des Kantons haben wir keinen Auftrag, Stiftungen in finanzieller Notlage zu unterstützen.

Aber die Uni hätte die ZSUZ intern anerkennen und sie so unterstützen können, statt sie als Drittpartei zu behandeln.

Nein, wir hätten die Stiftung und ihre Aktivitäten übernehmen müssen. Nur eine Anerkennung reicht nicht, um sie vom Konkurs zu retten. Die ZSUZ hatte ein strukturelles Defizit, wir hätten also die Kosten tragen müssen.

Jetzt aber zu Ihrem neuen Job: Was machen Sie als ETH-Ratspräsident? Wie ist Ihr Alltag?

Ich habe erst seit ein paar Tagen Alltag (lacht). Nein, der ETH-Ratspräsident sitzt an der Schnittstelle zwischen dem ETH-Bereich und der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Dazu vertreten wir die Interessen der beiden ETHs und der Forschungsanstalten gegenüber der Eigentümerin, also der Eidgenossenschaft. Und intern sind wir für die strategische Führung verantwortlich. Wir verteilen also das Geld, ernennen Professor*innen und nehmen dazu Aufsichtsaufgaben wahr. Grundsätzlich das, was ein Verwaltungsrat in einer Firma macht.

Sie sind auch als Wurmforscher bekannt. Nun lassen Sie Ihre Würmer an der Uni zurück. Was passiert mit denen?

Sie liegen jetzt in flüssigem Stickstoff. Ab und zu brauchen einzelne Forschungsgruppen einen Wurmstamm. Die Forschung dazu lebt auf jeden Fall weiter.

Sie sind verheiratet und haben sechs Kinder. Überlassen Sie Ihrer Frau die Care-Arbeit?

Ich habe einen intensiven Job, das schleckt keine Geiss weg. Am Morgen habe ich gut Zeit für meine Kinder, am Abend eher wenig. Dafür verbringen wir die Wochenenden als Familie.

Michael Hengartner war bis Ende Januar Rektor der Universität Zürich. Die Suche nach seiner Nachfolge ist im Gang. Ende Mai wird darüber informiert. Bis Ende Juli ist Gabriele Siegert Rektorin ad interim.